Beschluss des BGH vom 12.02.2014

Aktenzeichen: XII ZB 592/12

Kurze Zusammenfassung der Entscheidung:

Für einen minderjährigen Erben muss der Vormund die Ausschlagung der Erbschaft erklären. Diese Erklärung ist nur wirksam, wenn sie vom Familiengericht (Vormundschaftsgericht) genehmigt wird.
Die Entscheidung über die Genehmigung der Ausschlagung muss dem Minderjährigen zugestellt werden. Die Zustellung hat grundsätzlich an den Vormund zu erfolgen. Die vorliegende Entscheidung des Bundesgerichtshofes beschäftigt sich mit der Frage, ob hinsichtlich dieser Zustellung ein so genannter Ergänzungspfleger für den Minderjährigen bestellt werden muss, dem die Genehmigung des Gerichts zugestellt wird.
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Zustellung grundsätzlich an den Vormund zu erfolgen hat und dass die Bestellung eines Ergänzungspfleger für die Entgegennahme der Erklärung des Gerichts nur dann erforderlich ist, wenn die Einzelfallprüfung durch das Familiengericht ergibt, dass ein Interessenkonflikt zwischen den Interessen des Kindes und des Vormundes vorliegt. Ansonsten hat die Zustellung der Zustimmung des Familiengerichtes zur Ausschlagung der Erbschaft durch den Vormund an den Vormund selbst zu erfolgen.

(Ausschlagung Erbschaft Ergänzungspfleger)

Tenor:

1) Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des 10. Zivilsenats – Senat für Familiensachen – des Oberlandesgerichts Celle vom 11. September 2012 aufgehoben.
2) Auf die Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 27. Februar 2012 aufgehoben.
3) Gerichtsgebühren werden nicht erhoben.

Entscheidungsgründe:

A. Das für das betroffene minderjährige Kind zum Vormund bestellte Jugendamt der Stadt H. (Beteiligte zu 1, im Folgenden: Vormund) begehrt die gerichtliche Genehmigung einer für das Kind erklärten Erbausschlagung in einer Nachlassangelegenheit.
Das Amtsgericht hat für das minderjährige Kind eine Ergänzungspflegschaft zur Entgegennahme des noch zu erlassenden Beschlusses und für die Erklärung eines Rechtsmittelverzichts bzw. die Einlegung eines Rechtsmittels gegen diesen Beschluss für den Minderjährigen angeordnet. Das Oberlandes-1 gericht hat die Beschwerde des Vormunds zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Vormund mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.
B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der instanzgerichtlichen Entscheidungen.
I. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung in FamRZ 2013, 651 veröffentlicht ist, hat unter Bezugnahme auf die Begründung einer eigenen vorangegangenen Entscheidung (OLG Celle Rpfleger 2011, 436) folgendes ausgeführt: Nach § 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB erhalte, wer unter elterlicher Sorge stehe, für Angelegenheiten, an deren Besorgung die Eltern verhindert seien, einen Pfleger. Eine Verhinderung der Eltern oder – wie hier – eines alleinsorgeberechtigten Elternteils sei gemäß § 1629 Abs. 2 Satz 3 BGB iVm § 1796 Abs. 2 BGB insbesondere gegeben, wenn das Interesse des betroffenen Kindes zu dem Interesse der Kindesmutter in erheblichem Gegensatz stehe. Zwar fehle es vorliegend an einem solchen Interessengegensatz. Die alleinsorgeberechtigte Kindesmutter sei aber an der Entgegennahme des Beschlusses, mit dem die Erbausschlagung vom Familiengericht genehmigt werde, gehindert. Nach § 41 Abs. 3 FamFG sei ein Beschluss, der die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand habe, auch demjenigen bekanntzugeben, für den das Rechtsgeschäft genehmigt werde. Die Vorschrift trage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung, wonach dem Beteiligten die Möglichkeit eingeräumt werden müsse, bei einer Entscheidung, die seine Rechte betreffe, zu Wort zu kommen (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 197). Anders als in anderen 3 Verfahren könne die Gewährung rechtlichen Gehörs bei der Genehmigung eines Rechtsgeschäfts nicht durch den Vertreter des durch die Entscheidung in seinen Rechten Betroffenen wahrgenommen werden. Die Bekanntgabe der familiengerichtlichen Genehmigung der Erbausschlagung an die sorgeberechtigten Elternteile genüge daher nicht den Anforderungen des § 41 Abs. 3 FamFG.
Die Bestellung eines Verfahrensbeistands komme als milderes Mittel statt einer Anordnung der Ergänzungspflegschaft nicht in Betracht, zumal er nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes sei.
An dieser grundsätzlichen Beurteilung sei auch im vorliegenden Fall festzuhalten. Aus der Tatsache, dass im Streitfall das betroffene Kind nicht – wie im seinerzeitigen Verfahren – durch einen Elternteil vertreten worden und es infolgedessen um die Überprüfung eines Antrages dieses Elternteils gegangen sei, sondern nunmehr eine Vertretung durch das Jugendamt vorliege und eine Genehmigung dessen Antrags in Rede stehe, ergäben sich keine rechtlich erheblichen Abweichungen.
II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Gemäß § 1822 Nr. 2 BGB bedarf der Vormund zur Ausschlagung einer Erbschaft der Genehmigung des Familiengerichts. Nach § 41 Abs. 3 FamFG ist ein Beschluss, der die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand hat, auch demjenigen bekanntzugeben, für den das Rechtsgeschäft genehmigt wird. Gemäß § 1793 Abs. 1 Satz 1 BGB iVm § 9 Abs. 2 FamFG wird bei einer angeordneten Vormundschaft der Geschäftsunfähige vom Vormund vertreten. Nach § 1796 BGB kann das Familiengericht dem Vor-5 mund die Vertretung für einzelne Angelegenheiten oder für einen bestimmten Kreis von Angelegenheiten entziehen, wenn das Interesse des Mündels zu dem Interesse namentlich des Vormunds in erheblichem Gegensatz steht.
2. Nach den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen fehlt es an den Voraussetzungen für die Entziehung der Vertretungsmacht gemäß § 1796 Abs. 2 BGB hinsichtlich der Bekanntgabe des Genehmigungsbeschlusses bzw. der aus der Bekanntgabe folgenden Konsequenzen (Einlegung eines Rechtsmittels oder Erklärung eines Rechtsmittelverzichts).
Die Frage, ob es in Fällen der vorliegenden Art, in denen es um die Genehmigung einer Erbausschlagung für ein minderjähriges Kind geht, zur Entgegennahme des Genehmigungsbeschlusses im Sinne von § 41 Abs. 3 FamFG, zur Rechtsmitteleinlegung oder zur Erklärung eines Rechtsmittelverzichts der Bestellung eines Ergänzungspflegers bedarf, ist allerdings umstritten.
a) Zum einen wird vertreten, dass dem Minderjährigen in solchen Fällen grundsätzlich ein Ergänzungspfleger zu bestellen ist (KG FamRZ 2010, 1171; OLG Köln DNotZ 2012, 219; Musielak/Borth FamFG 4. Aufl. § 41 Rn. 11; Zorn Rpfleger 2009, 421, 431; differenzierend: Büte FuR 2011, 361, 362 [etwa bei Genehmigung eines vom gesetzlichen Vertreters zuvor abgeschlossenen Kaufvertrags]; Kölmel MittBayNot 2012, 108, 109 f. [kein Vertretungsausschluss über § 1796 BGB, sondern über Verfahrensrecht]; Perlwitz/Weber FamRZ 2011, 1350, 1354 f. [Bestellung eines Verfahrensbeistands]).
b) Nach der Gegenauffassung ist ein Ergänzungspfleger nur dann zu bestellen, wenn im Einzelfall festgestellt ist, dass das Interesse des Mündels zu dem Interesse des Vormunds in erheblichem Gegensatz steht (OLG Brandenburg MittBayNot 2011, 240; Keidel/Meyer-Holz FamFG 18. Aufl. § 41 Rn. 4 a;MünchKommFamFG/Ulrici 2. Aufl. § 41 Rn. 14 ff.). 9 c) Der Senat folgt der zuletzt genannten Auffassung. Aus § 41 Abs. 3 FamFG, wonach ein Beschluss, der die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand hat, auch demjenigen bekanntzugeben ist, für den das Rechtsgeschäft genehmigt wird, folgt nicht, dass das Vertretungsrecht des Vormunds gemäß § 1793 Abs. 1 Satz 1 BGB über die in § 1796 BGB bezeichneten Fälle hinaus zu entziehen ist. Nach § 1796 Abs. 2 BGB soll die eine Ergänzungspflegschaft auslösende Entziehung des Vertretungsrechts nur erfolgen, wenn das Interesse des Mündels zu dem Interesse des Vormunds in erheblichem Gegensatz steht. Eine solche Entscheidung setzt mithin voraus, dass der Tatrichter entsprechende Feststellungen getroffen hat. Ein Ausschluss des Vertretungsrechts aus verfahrensrechtlichen Gründen jenseits des hier nicht einschlägigen § 1795 BGB oder des § 1796 BGB (so aber Kölmel Mitt-BayNot 2012, 108, 109 f.) kommt nicht in Betracht.
aa) Für eine generelle Entziehung des Vertretungsrechts ohne Betrachtung der Umstände des Einzelfalls fehlt es daher bereits an einer gesetzlichen Grundlage. Im Übrigen besteht hierfür auch kein Bedürfnis. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens hat das Amtsgericht von Amts wegen die Umstände des Einzelfalls zu prüfen, insbesondere ob die Voraussetzungen für eine Genehmigung der Erbausschlagung zum Wohle des Kindes vorliegen. Erhält das Gericht im Rahmen dieser Ermittlungen Kenntnis von einem möglichen Interessenwiderstreit, ist die Bestellung eines Ergänzungspflegers nach § 1796 Abs. 2 BGB immer noch möglich.
Daraus wird zudem ersichtlich, dass der gesetzliche Vertreter in Fällen der vorliegenden Art bereits durch das Gericht kontrolliert wird. Die Erbausschlagung steht unter dem gerichtlichen Genehmigungsvorbehalt. Ein Bedürfnis dafür, das der Kontrolle dienende Verfahren sowie das kontrollierende Gericht seinerseits einer generellen weiteren Kontrolle durch einen anderen Vertreter 13 des Rechtsinhabers zu unterstellen, besteht – jedenfalls soweit kein Interessenwiderstreit festgestellt wird – nicht (s. auch MünchKommFamFG/Ulrici 2. Aufl. § 41 Rn. 15).
bb) Dem steht auch die vom Beschwerdegericht zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 101, 397 = FamRZ 2000, 731) nicht entgegen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass die unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens gebotene Anhörung nicht deshalb entbehrlich gewesen sei, weil der als gesetzlicher Vertreter der Erben handelnde Nachlasspfleger am Genehmigungsverfahren beteiligt gewesen sei und das rechtliche Gehör im Regelfall nicht durch denjenigen vermittelt werden könne, dessen Handeln im Genehmigungsverfahren überprüft werden solle (BVerfGE 101, 397 = FamRZ 2000, 731, 733). Zutreffend ist auch, dass der Gesetzgeber in der Begründung zu § 41 Abs. 3 FamFG auf die vorgenannten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts Bezug genommen hat (BT-Drucks. 16/6308 S. 197).
Die Genehmigung einer Erbschaftsausschlagung unterscheidet sich von der vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fallgestaltung indes darin, dass dort der – zugleich als Vertreter tätige – Nachlasspfleger an dem später zu genehmigenden Erbauseinandersetzungsvertrag aktiv beteiligt war (vgl. BVerfGE 101, 397 = FamRZ 2000, 731, 732; s. auch Büte FuR 2011, 361, 362). Dagegen begehrt der Vormund vorliegend allein die Genehmigung der Erbausschlagung für das minderjährige Kind; es geht also nicht um die Genehmigung einer vertraglichen Gestaltung, an der der gesetzliche Vertreter aktiv mitgewirkt hat, sondern lediglich um die Genehmigung einer einseitigen, gegenüber dem Nachlassgericht vorzunehmenden Erklärung (vgl. § 1945 Abs. 1 BGB).
cc) Im Übrigen wird das vom Beschwerdegericht gefundene Ergebnis auch den Belangen der Praxis nicht gerecht, wie das Kammergericht zu Recht im Einzelnen ausgeführt hat (KG FamRZ 2010, 1171, 1173).
3. Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden, § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG. Das Beschwerdegericht hat das Bestehen eines erheblichen Interessengegensatzes i.S.v. § 1796 Abs. 2 BGB verneint. Im Übrigen ist auch sonst nicht ersichtlich, worin ein Interessenwiderstreit bei einem als Vormund tätigen Jugendamt zu sehen sein könnte, das für den Mündel die Erbschaft ausschlägt.
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(Ausschlagung Erbschaft Ergänzungspfleger)