Der deutsch-türkische Konsularvertrag kommt nur in Fällen zur Anwendung, in denen es um die Anwendung materiellen Erbrechts geht

Urteil des BGH vom 21.10.2015

Aktenzeichen: IV ZR 68/15

Kurze Zusammenfassung der Entscheidung:

Die Parteien sind Brüder und wurden gemeinsam Erben ihres türkischstämmigen Vaters, der über Grundvermögen in der Türkei verfügte. Beide Brüder und der Erblasser hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Die Immobilie in der Türkei wurde einvernehmlich veräußert. Der Erwerber behielt einen Teil des Kaufpreises zurück und zahlte diesen Betrag später an einen der Erben aus.


Der andere Bruder macht in Deutschland gegenüber dem Miterben seinen Auszahlungsanspruch hinsichtlich des später ausgezahlten Teilbetrages geltend. Es wurde ein Vollstreckungsbescheid erlassen. Gegen den Vollstreckungsbescheid legte der Schuldner Einspruch ein. Das Landgericht gab unter Hinweis auf die Regelungen im deutsch-türkischen Konsularvertrag dem Einspruch statt. Der Bundesgerichtshof hob die Entscheidung auf.
Der Bundesgerichtshof gelangt zu dem Ergebnis, dass die Zuständigkeitsregelungen im deutsch-türkischen Konsularvertrag sich nur auf solche Rechtsstreitigkeiten beziehen, die Fragen des materiellen Erbrechts zum Gegenstand haben.


Im vorliegenden Fall war die Erbquote und das Erbrecht als solches zwischen den Parteien nicht streitig. Es ging lediglich um einen Zahlungsanspruch der sich auf einen Geldbetrag bezog, der hinsichtlich der Veräußerung eines Nachlassgegenstandes geschuldet wurde. Gegenstand dieser Streitigkeit war somit der Zahlungsanspruch als solcher und nicht das zugrunde liegende materielle Erbrecht. Folglich waren für diesen Rechtsstreit die deutschen Gerichte zuständig und nicht die türkischen, die im Falle einer Auseinandersetzung über materielles Erbrecht ausschließlich zuständig gewesen wären, da hinsichtlich der in der Türkei gelegenen Immobilie das türkische Erbrecht zur Anwendung gekommen wäre.

(Deutsch-Türkischer Konsularvertrag Auslegung)

Tenor:

1) Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 17. Dezember 2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
2) Von Rechts wegen.

(Deutsch-Türkischer Konsularvertrag Auslegung)

Entscheidungsgründe:

I. Tatbestand

Die Parteien sind Brüder und wohnen in Deutschland.
Ihr Vater war türkischer Staatsangehöriger und lebte zuletzt in der Türkei; er verstarb am 15. Juni 1994 in Izmir. Erben waren seine vier Söhne, darunter die beiden Parteien, und seine Ehefrau, die Mutter der Geschwister. Zur Erbschaft gehörte ein Haus in Izmir. Die Erben veräußerten das Haus mit Vertrag vom 9. März 2011 zu einem Preis von 100.000 Türkischen Lira. Der Käufer bezahlte hiervon 90.000 Türkische Lira. Diese verteilten die Erben unter sich. Den Restkaufpreis behielt der Käufer zunächst ein.
Im Jahr 2012 reiste der Beklagte in die Türkei und erhielt vom Käufer den restlichen Kaufpreis von 10.000 Türkischen Lira. Hiervon zahlte er ein Viertel an einen Bruder aus. Er sagte dem Kläger mehrfach zu, ihm den zustehenden Anteil auszuzahlen. Mit Anwaltsschreiben vom 7. März 2013 forderte der Kläger den Beklagten auf, ihm 2.500 Türkische Lira – nach seiner Behauptung umgerechnet 1.082 € – als seinen Anteil auszuzahlen. Nachdem der Kläger einen Vollstreckungsbescheid über 1.082 € erwirkte, zahlte der Beklagte in zwei Raten insgesamt 300 €.
Der Beklagte hat Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid eingelegt. Das Amtsgericht hat den Vollstreckungsbescheid – abzüglich der erfolgten Zahlungen und eines Teils der Nebenforderungen – aufrechterhalten. Das Landgericht hat die Klage auf die Berufung des Beklagten, der auch die internationale Zuständigkeit gerügt hat, als unzulässig abgewiesen. Der Kläger verfolgt sein Begehren mit der zugelassenen Revision weiter.

II. Gründe

Die Revision ist begründet.
I. Das Berufungsgericht – dessen Entscheidung in ZEV 2015, 588 veröffentlicht ist – meint, es fehle an der internationalen Zuständigkeit. Auf den Streitfall sei § 15 Satz 1 des deutschtürkischen Nachlassabkommens anzuwenden (in Kraft getreten als Anlage zu Art. 20 des Konsularvertrages zwischen der Türkischen Republik und dem Deutschen Reich vom 28. Mai 1929, RGBl. 1930 II S. 747; 1931 II S. 538; BGBl. 1952 II S. 608; fortan: Nachlassabkommen); danach sei nur die internationale Zuständigkeit der türkischen Gerichte eröffnet. § 15 des Nachlassabkommens begründe eine ausschließliche Zuständigkeit. Der Rechtsstreit betreffe einen Erbschaftsanspruch im Sinne dieser Regelung. Diese gelte für Streitigkeiten unter (potentiell) erbrechtlich Berechtigten; es komme nicht darauf an, ob eine Vereinbarung über die Verteilung des Erlöses aus dem Hausverkauf vorliege oder ob der Kläger seinen Anspruch auf unerlaubte Handlung oder Bereicherung stütze. Eine einschränkende Auslegung aufgrund der deutschen Staatsangehörigkeit des Beklagten komme nicht in Betracht.
II. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Die deutschen Gerichte sind international zuständig. Eine – ausschließliche – internationale Zuständigkeit der türkischen Gerichte gemäß § 15 des Nachlassabkommens besteht nicht. Vielmehr richtet sich die internationale Zuständigkeit nach dem Wohnsitz des Beklagten (Art. 2 EuGVVO a.F. bzw. – sofern die Streitigkeit gemäß Art. 1Abs. 2 lit. a EuGVVO a.F. nicht in den Anwendungsbereich der EuGVVO a.F. fallen sollte – §§ 12, 13 ZPO). Der Beklagte hat seinen Wohnsitz in Deutschland.
1. Die Voraussetzungen von § 15 des Nachlassabkommens sind – anders als das Berufungsgericht meint – nicht erfüllt.
§ 15 Satz 1 des Nachlassabkommens lautet:

\”Klagen, welche die Feststellung des Erbrechts, Erbschaftsansprüche, Ansprüche aus Vermächtnissen sowie Pflichtteilsansprüche zum Gegenstand haben, sind, soweit es sich um beweglichen Nachlass handelt, bei den Gerichten des Staates anhängig zu machen, dem der Erblasser zurzeit seines Todes angehörte, soweit es sich um unbeweglichen Nachlass handelt, bei den Gerichten des Staates, in dessen Gebiet sich der unbewegliche Nachlass befindet.\”

Die Zuständigkeit nach dieser Norm setzt also voraus, dass Gegenstand des Rechtsstreits die Feststellung des Erbrechts, Erbschaftsansprüche, Ansprüche aus Vermächtnissen oder Pflichtteilsansprüche sind. Daran fehlt es.
a) Maßgeblich für die Frage, welche Ansprüche Gegenstand des Rechtsstreits sind, ist der Sachvortrag des Klägers. Dabei kommt es nicht auf die rechtliche Qualifikation durch den Kläger an, sondern darauf, auf welche Tatsachengrundlage der Kläger seinen Anspruch stützt und inwieweit der Kläger auf dieser Tatsachengrundlage bestimmte Ansprüche verfolgt. Wie die Revision zutreffend geltend macht, erfasst § 15 des Nachlassabkommens nicht die vom Kläger im Rechtsstreit erhobenen Ansprüche.
b) Im Streitfall kommen allein Erbschaftsansprüche i.S. des § 15 des Nachlassabkommens in Betracht. Solche Ansprüche liegen nur vor, wenn das materielle Erbrecht der Parteien Gegenstand des Rechtsstreits ist; der Rechtsstreit über diese Ansprüche muss dazu führen, dass über eine zwischen den Parteien streitige Erbenstellung oder erbrechtliche Berechtigung eine verbindliche Entscheidung getroffen wird. Dies ist nach deutschem Sachrecht bei Ansprüchen aus § 2018 BGB, nach türkischem Sachrecht bei Ansprüchen aus Art. 637 des türkischen ZGB der Fall (vgl. OLG Köln, OLGZ 1986, 210, 212). Gemeinsam ist diesen Ansprüchen, dass sich der Gläubiger auf ein ihm zustehendes Erbrecht beruft, dessen Reichweite zwischen den Parteien streitig ist. Nur wenn der Rechtsstreit dazu dient, auch über diesen Streit um Bestand und Ausmaß des Erbrechts zu entscheiden, handelt es sich um einen Erbschaftsanspruch i.S. von § 15 des Nachlassabkommens.
Dies ergibt sich aus der Auslegung von § 15 des Nachlassabkommens. Hierzu sind die Bestimmungen des Nachlassabkommens aus sich heraus auszulegen; dabei sind zugleich die erbrechtlichen Bestimmungen Deutschlands und der Türkei als der beiden Vertragsstaaten zu berücksichtigen. Beide Rechtsordnungen kennen in § 2018 BGB (Erbschaftsanspruch) bzw. Art. 637 türkisches ZGB (Miras Sebebiyle Istihkak Davas) Herausgabeansprüche, bei denen zugleich über die Erbeneigenschaft entschieden wird. Nach diesem Auslegungsmaßstab meint der Begriff \”Erbschaftsansprüche\” nicht sämtliche Streitigkeiten zwischen Erben. Erst recht meint er nicht sämtliche Ansprüche, bei denen Erbfragen eine Rolle spielen. § 15 des Nachlassabkommens zählt die betroffenen Ansprüche vielmehr enumerativ auf. Gemeinsam ist diesen Ansprüchen, dass sie die Frage betreffen, wer (in welchem Umfang) Erbe geworden ist, wie sich aus den neben den Erbschaftsansprüchen genannten Klagen auf Feststellung des Erbrechts, Pflichtteilsansprüchen und Vermächtnisansprüchen ergibt. Die Vorschrift zielt also darauf, für Streitigkeiten, die einen besonders engen Bezug zur jeweiligen Erbfolge aufweisen, angesichts der aus § 14 des Nachlassabkommens folgenden Nachlassspaltung (vgl. Senatsbeschluss vom 12. September 2012 – IV ZB 12/12, FamRZ 2012, 1871 Rn. 7) klare Zuständigkeitsregeln aufzustellen. Dies sind Ansprüche, bei denen das Erbrecht selbst oder bestimmte erbrechtliche Ansprüche gegen den Nachlass selbst im Streit stehen. Hier will § 15 des Nachlassabkommens – wie sich aus der ebenfalls zwischen beweglichem und unbeweglichem Nachlass unterscheidenden Kollisionsnorm des § 14 des Nachlassabkommens ergibt – einen Gleichlauf zwischen Forum und anwendbarem Recht erreichen.
Streitigkeiten zwischen Erben, die sich nicht auf ihr Erbrecht als solches beziehen, erfüllen die Voraussetzungen des § 15 des Nachlassabkommens hingegen nicht. Dies zeigt auch § 8 des Nachlassabkommens. Er lautet: \”Streitigkeiten infolge von Ansprüchen gegen den Nachlass sind bei den zuständigen Behörden des Landes, in dem dieser sich befindet, anhängig zu machen und von diesen zu entscheiden.\” Es genügt für die ausschließliche Zuständigkeit also nicht, wenn lediglich die Rechtsnachfolge von der Erbenstellung abhängt oder erbrechtliche Probleme eine Vorfrage darstellen.
2. Im Streitfall haben die Erben ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück gemeinschaftlich an einen Dritten veräußert. Sie haben den erhaltenen Erlös sodann unter sich verteilt. Den vom Käufer geschuldeten Restkaufpreis von 10.000 Türkischen Lira hat der Beklagte unstreitig vereinnahmt und hiervon ein Viertel an einen weiteren Bruder ausgezahlt. Der Kläger begehrt nun, einen entsprechenden Anteil an dem vereinnahmten Entgelt zu erhalten.
Gegenstand dieses Rechtsstreits ist daher kein Erbschaftsanspruch i.S. des § 15 des Nachlassabkommens, sondern eine Auseinandersetzung um die Frage, in welchem Umfang der Beklagte einen aus dem Verkauf eines Erbschaftsgegenstandes vereinnahmten Erlösanteil auskehren muss. Denn es stehen weder die Erbquote noch die Eigenschaft als Erbe im Streit; vielmehr ist allein zu entscheiden, ob und in welcher Höhe der Kläger den ihm – unstreitig – zustehenden Anteil am vereinnahmten Geld durchsetzen kann.
III. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben. Das Landgericht wird über die Sache selbst zu entscheiden haben.
Mayen Felsch Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski Dr. Schoppmeyer
Vorinstanzen:
AG Karlsruhe, Entscheidung vom 17.12.2013 – 5 C 315/13 –
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 17.12.2014 – 9 S 24/14 –


(Deutsch-Türkischer Konsularvertrag Auslegung)