Beschluss des OLG Hamm vom 18.07.2013

Erbschein Testamentsauslegung Beschwerdebefugnis

Aktenzeichen: 15 W 88/13

Kurze Zusammenfassung der Entscheidung:

Wer vorträgt, dass ein erteilter Erbschein das eigene Erbrecht nicht oder nicht vollständig berücksichtigt, ist im Erbscheinsverfahren beschwerdebefugt. Dies gilt auch, wenn die Erbscheinserteilung auf einer Testamentsauslegung seitens des Nachlassgerichtes beruht.

(Erbschein Testamentsauslegung Beschwerdebefugnis)

Tenor:

1) Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
2) Der Antrag des Beteiligten zu 1) vom 30.05.2012 auf Erteilung eines Erbscheins wird zurückgewiesen.
3) Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 40.000 € festgesetzt.
4) Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Vorab ist dabei auf Folgendes hinzuweisen:
Soweit das Amtsgericht die Beschwerde gegen die Erteilung des Erbscheins vom 18.06.1991 zurückgewiesen hat, ist dieser Teil der Entscheidung dem Senat nicht zu Entscheidung angefallen. Gemäß Art.111 Abs.1 FGG-RG ist auf Verfahren, die vor dem 01.09.2009 eingeleitet worden sind, das bisherige Recht anzuwenden. Der Begriff des Verfahrens umfasst dabei auch die Behandlung und Entscheidung von Rechtsmitteln. Dementsprechend ist für die Entscheidung über diese Beschwerde das Landgericht Münster zuständig. Allerdings weist der Senat den Beschwerdeführer darauf hin, dass er gut beraten ist, diese Beschwerde zurückzunehmen. Ziel der Beschwerde gegen einen bereits erteilten Erbschein konnte und kann nach altem und neuem Verfahrensrecht nur die Einziehung des Erbscheins sein. Hier ist der Erbschein jedoch bereits durch Beschluss vom 11.07.2012 eingezogen worden, so dass die Beschwerde ins Leere geht.
Die gegen den Feststellungsbeschluss vom 16.10.2012 gerichtete Beschwerde ist zulässig. Die Beschwerde anderer Verfahrensbeteiligter gegen einen Feststellungsbeschluss setzt unter dem Gesichtspunkt der Beschwerdebefugnis eine rechtliche Beeinträchtigung im Sinne des § 59 Abs. 1 FamFG voraus. Diese liegt vor, wenn unmittelbar mit tatsächlich störender Wirkung in ein dem Beschwerdeführer zustehendes subjektives Recht eingegriffen wird, die Ausübung des Rechts also gefährdet, erschwert, verschlechtert oder sonst ungünstig beeinflusst wird. Für das Verfahren betreffend die Erteilung eines Erbscheins bedeutet dies, dass durch die amtsgerichtliche Entscheidung derjenige beeinträchtigt wird, der geltend macht, dass seine erbrechtliche Stellung in dem Feststellungsbeschluss nicht oder nicht richtig ausgewiesen wird; er muss also das für einen anderen bezeugte Erbrecht ganz oder teilweise für sich selbst in Anspruch nehmen (vgl. Senat OLGZ 1986, 152; Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 17. Aufl., § 59 Rdnr. 77).
Der Beteiligte zu 2) nimmt allerdings ein Erbrecht nach der Erblasserin nicht in Anspruch. Er kommt lediglich als gesetzlicher Eigenerbe auf den Nachlass des am 01.05.2012 verstorbenen C1 in Betracht. Dieser Gesichtspunkt schließt unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles indessen eine Beschwerdeberechtigung des Beteiligten zu 2) gegen den Feststellungsbeschluss zur Erteilung eines Erbscheines für den Beteiligten zu 1) als Nacherben der Erblasserin nicht aus. Denn der Beteiligte zu 2) macht hier gerade geltend, sein Bruder C1 habe die Rechtsstellung eines unbeschränkten Vollerben der Erblasserin erlangt. Unter diesem Gesichtspunkt ist also die Frage aufgeworfen, ob der landwirtschaftliche Besitz der Erblasserin zum Zeitpunkt des Todes des C1 zu seinem freien Vermögen gehört oder der Nacherbfolge unterliegt. Wird dem Beteiligten zu 1) ein Erbschein entsprechend dem Feststellungsbeschluss erteilt, so kann er gemäß § 35 GBO die Grundbuchberichtigung des landwirtschaftlichen Besitzes auf sich herbeiführen. Dies würde unmittelbar zu einer Schmälerung der Rechte des Beteiligten zu 2) als gesetzlicher Erbe des C1 führen. Er muß sich deshalb an dem Erbscheinsverfahren für den Nachlass der Erblasserin mit einem eigenen Rechtsmittel jedenfalls in dem vorliegenden Fall beteiligen können, in dem es um den Bestand der Beschränkungen der Nacherbschaft für C1 geht. Dementsprechend hat der Senat bereits nach dem bisherigen Recht in einer vergleichbaren Verfahrenssituation eine Beschwerdebefugnis (bisher in § 20 Abs. 1 FGG geregelt) bejaht (Beschl. v. 27.05.1997 – 15 W 47/1997).
In der Sache ist das Rechtsmittel begründet, weil das Amtsgericht dem Testament vom 15.03.1985 zu Unrecht die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft entnommen hat. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Amtsgerichts, dass das privatschriftliche Testament erkennbar auslegungsbedürftig ist.
Die Testamentsauslegung hat zum Ziel, den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen. Dabei ist zwar vom Wortlaut auszugehen. Dieser ist jedoch nicht bindend. Vielmehr sind der Wortsinn und die vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, um festzustellen, was er mit seinen Worten hat sagen wollen und ob er mit ihnen genau das wiedergegeben hat, was er zum Ausdruck bringen wollte (BGH NJW 1993, 256 m.w.N.). Maßgeblich ist insoweit allein sein subjektives Verständnis der von ihm verwendeten Begriffe (BGH FamRZ 1987, 475, 476; Palandt/Weidlich, BGB, 72. Aufl., § 2084 Rn. 1). Zur Ermittlung des Inhalts der testamentarischen Verfügungen ist der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher außerhalb des Testaments, heranzuziehen und zu würdigen (BGH NJW 1993, 256 m.w.N.). Solche Umstände können vor oder auch nach der Errichtung des Testamentes liegen. Dazu gehört das gesamte Verhalten des Erblassers, seine Äußerungen und Handlungen (Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2084 BGB Rdnr. 2 m.w.N.). Kann sich der Richter auch unter Auswertung aller Umstände von dem tatsächlich vorhandenen wirklichen Willen des Erblassers nicht überzeugen, muss er sich grundsätzlich mit dem Sinn begnügen, der dem Erblasserwillen mutmaßlich am ehesten entspricht (BGH NJW 1993, 256). Eine Ausnahme gilt dabei dort, wo das Gesetz selbst Auslegungsregeln oder Vermutungen enthält. In diesen Fällen ist, wenn sich das Gericht nicht von dem tatsächlichen Willen des Erblassers überzeugen kann, allerdings auch erst dann, auf die gesetzlichen Regeln zurückzugreifen.
Der Senat kann in Anwendung dieser Grundsätze dem Amtsgericht nicht beipflichten, dass sich dem Testament ein Wille der Erblasserin, eine Vor- und Nacherbschaft anzuordnen, mit hinreichender Sicherheit entnehmen lässt. Im Einzelnen gilt hierzu Folgendes:
Der Wortlaut der Erbeinsetzung ist, woraus sich ja gerade die Auslegungsbedürftigkeit erschließt, mehrdeutig. Der Begriff des Ersatzerben hat einen rechtlich klaren Inhalt. Richtig ist allerdings, dass nicht festgestellt werden kann, dass dieser Begriffsinhalt der Erblasserin bekannt war. Allgemeinsprachlich bedeutet Ersatz allerdings nicht mehr als der Austausch einer in Wegfall kommenden Person oder Sache durch andere. Mag sich dieses allgemeine Wortverständnis danach mit einer Vor- und Nacherbschaft auch noch in Einklang bringen lassen, so ist der wesentliche Kern dieses Rechtsinstituts, nämlich die Separierung des Nachlasses vom sonstigen Vermögen des Vorerben und dessen gesetzliche Bindung in Bezug auf den Nachlass, im allgemeinen Wortsinn weder angelegt noch angedeutet.
Nicht überzeugend erscheint dem Senat in diesem Zusammenhang das Argument des Amtsgerichts, dass die Erblasserin auch ohne juristische Kenntnisse den Fall des Vorversterbens ausdrücklich hätte regeln können, wenn es ihr nur um eine Ersatzerbeneinsetzung gegangen wäre. Wesentlich naheliegender erscheint hingegen folgende Überlegung:
Wenn der Erblasserin das juristische Instrument der Vor-und Nacherbschaft und die entsprechenden Begrifflichkeiten nicht bekannt waren, wovon der Antragsteller und das Amtsgericht ausgehen, dann wäre zu erwarten, dass sie in ihrer Verfügung in irgendeiner Form angedeutet hätte, worum es ihr in der Sache ging, nämlich um eine Beschränkung der Verfügungsfreiheit des zunächst eingesetzten Erben im Bezug auf den Nachlass. Denn aus dem Begriff des Ersatzerben allein lässt sich im allgemeinen Sprachverständnis zwar noch ein Austausch der zur Erbfolge berufenen Person, aber keine lebzeitige Verfügungsbeschränkung des ersten Erben ableiten (vgl. oben). Gerade eine solche weitergehende Andeutung fehlt jedoch. Der Wortlaut ließe sich mit der Annahme einer Vor- und Nacherbschaft also nur dann vereinbaren, wenn man unterstellen würde, die Erblasserin habe das Instrument der Vor- und Nacherbschaft in seinen gesetzlichen Rechtsfolgen gekannt, nicht aber die entsprechenden Begriffe. Diese Annahme erscheint dem Senat eher fernliegend.
Vielmehr spricht auch der Umstand, dass eine Erbenstellung möglicher Kinder des ersten Erben nicht ausdrücklich geregelt worden ist, dafür, dass die Regelungen des Testaments eher nicht auf eine Beschränkung des ersten Erben abheben. Dass man die gesamte Regelung auch im Sinne eine Nacherbeneinsetzung der möglichen Kinder auslegen könnte, ändert hieran nichts. Denn wenn es der Erblasserin in erster Linie um die Verfügungsbeschränkung des ersten Erben zur Verhinderung einer Zerschlagung des Hofes gegangen wäre, so hätte sich ihr jedenfalls aufdrängen müssen (vgl. auch oben) auszudrücken, dass auch die möglichen Kinder des ersten Erben die ihn beschränkenden Nacherben sein sollten.
Auch der weitere Inhalt der Testamentsurkunde und systematische Überlegungen führen hier zu keinem tragfähigen Ergebnis. Insoweit sprechen für eine bloße Ersatzerbeneinsetzung jedenfalls die folgenden Gesichtspunkte:
Soweit bei der Regelung betr. die Zuwendung von je 5.000 DM an die weiteren Kinder von „Alleinerbe“ die Rede ist, deutet dies im allgemeinen Sprachverständnis am ehesten auf eine „starke“ Stellung des eingesetzten Erben hin.
Lässt sich allein aus dem Inhalt der Testamentsurkunde kein tragfähiges Auslegungsergebnis in der einen oder anderen Richtung gewinnen, so würde die Annahme einer Vor- und Nacherbschaft voraussetzen, dass sich ein entsprechender Wille der Erblasserin anhand weiterer, außerhalb der Urkunde liegender Umstände feststellen ließe. Für die hierzu erforderlichen Feststellungen sieht der Senat jedoch keine hinreichende Grundlage. Der Antragsteller trägt zwar vor, dass die Vor- Nacherbschaft im Familienkreis erörtert worden sei, jedoch entzieht sich dieser Vortrag einer weiteren Sachaufklärung. Es wird nicht einmal angedeutet, wer wann mit wem worüber gesprochen hat. Zeugen werden nicht benannt. Der Beschwerdeführer hat den Vortrag des Antragstellers bestritten. Bei dieser Sachlage erscheint es praktisch als ausgeschlossen, dass allein durch eine Anhörung der Beteiligten weitere Feststellungen getroffen werden können, so dass diese auch kein Gebot der Amtsaufklärung (§ 26 FamFG) ist.
Entsprechendes gilt hinsichtlich des Verhaltens der Kinder der Erblasserin nach Eintritt des Erbfalls. Es sind schon keine Tatsachen feststellbar, auf deren Grundlage von diesem Verhalten auf den Willen der Erblasserin zurückgeschlossen werden könnte. Soweit der Antragsteller darauf abhebt, dass der erste Erbe seinerzeit einen Erbschein mit Nacherbenvermerk akzeptiert hat, verkennt er, dass dieser zunächst einen unbeschränkten Erbschein beantragt hatte und mit der Antragsänderung allein auf einen gerichtlichen Hinweis reagiert hat. Die Motivation hierfür entzieht sich nach dem Vorbringen der Beteiligten einer genauen Feststellung. Entsprechendes gilt für das Verhalten der weiteren Geschwister. Die schriftliche Verzichtserklärung des Beschwerdeführers vom 30.12.1991 lässt ebenfalls keine Rückschlüsse auf die damalige Sichtweise des Beschwerdeführers im Sinne einer Nacherbschaft vor. Denn die Erklärung bezieht sich auf den Nachlass der Mutter der Beteiligten. An diesen jedoch hatten die Beteiligten, gerade wenn man den hier vertretenen Standpunkt des Beschwerdeführers zu Grunde legt, dass sein Bruder B Vollerbe geworden ist, nach Erledigung ihrer Pflichtteilsansprüche keinerlei Rechte mehr.
Lässt sich nach alledem nicht sicher feststellen, welchen Sinn die Erblasserin dem Begriff des Ersatzerben beigemessen hat, so muss es nach den o.g. Grundsätzen bei der Auslegungsregel des § 2102 Abs.2 BGB verbleiben. Danach ist hier davon auszugehen, dass der Antragsteller lediglich zum Ersatzerben im Rechtsssinne eingesetzt worden ist. Da der Ersatzerbfall nicht eingetreten ist, ist sein Erbscheinsantrag unbegründet und daher zurückzuweisen.
Die Wertfestsetzung beruht auf den §§ 131, 30 KostO.
Im Hinblick auf die divergierenden gerichtlichen Entscheidungen und den familiären Zusammenhang der Beteiligten entspräche die Anordnung der Kostenerstattung nicht der Billigkeit (§ 81 Abs.1 FamFG), weshalb der Senat hiervon abgesehen hat.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs.2 FamFG) liegen nicht vor.


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