Erbrecht: Die gesetzliche Erbfolge

Die gesetzliche Erbfolge greift ein, wenn der Erblasser kein Testament hinterlassen hat

Die Rechtsfolgen, die sich zivilrechtlich aus dem Tod eines Menschen ergeben, sind im Gesetz (Bürgerliches Gesetzbuch) umfassend geregelt, insbesondere die gesetzliche Erbfolge. Liegen seitens des Verstorbenen keine anders lautenden Anordnungen vor, so wird der Todesfall auf der Grundlage der gesetzlichen Anordnungen, d.h. dem Fünften Buch des bürgerlichen Gesetzbuches, abgewickelt.

Die einschlägigen Vorschriften des bürgerlichen Gesetzbuches regeln die zivilrechtlichen Folgen des Todes in diesem Fall umfassend und abschließend. Die Erbfolge ergibt sich in einem solchen Fall unmittelbar aus bürgerlichen Gesetzbuch. Aus diesem Grunde werden die gesetzlichen Anordnungen, die eingreifen, wenn der Verstorbene keine anderen Anweisungen hinterlassen hat, als gesetzliche Erbfolge bezeichnet.

Testamente, Vermächtnisse und Erbverträge verfolgen daher regelmäßig das Ziel, Anordnungen zu treffen, die im Todesfall zu Regelungen führen, die die gesetzlichen Erbfolge abändern. Um die Gestaltungsmöglichkeiten zu verstehen, die der Gesetzgeber eingeräumt hat, um Abweichungen von der gesetzlichen Erbfolge anordnen zu können, ist es daher erforderlich, zuvor die gesetzlichen Erbfolge als System zu verstehen.

Nur wer sich mit dem System der gesetzlichen Erbfolge beschäftigt hat, kann verstehen, nach welchen Regeln Anordnungen zu treffen sind, die zu Abweichungen von der gesetzlichen Erbfolge führen. Aus diesem Grunde werden im Weiteren die Grundlagen der gesetzlichen Erbfolge erläutert.

Erbrecht: Die gesetzliche Erbfolge als Verwandtenerbfolge

Die gesetzliche Erbfolge leitet das Erbrecht aus dem Verwandtschaftsverhältnis ab. Damit begründet die gesetzliche Erbfolge die Verwandtenerbfolge.

Hinsichtlich der Verwandtenerbfolge ergeben sich aus dem Gesetz die folgenden 6 Grundprinzipien:

  • Parentelsystem
  • Repräsentationssytem
  • Eintrittsrecht
  • Erbfolge nach Familienstämmen
  • Linienprinzip
  • Gradualsystem

Erbrecht: Verwandtenerbfolge – Parentelsystem

Das bürgerliche Gesetzbuch regelt in den §§ 1924-1930 die Erbfolge unter Verwandten. Dabei weist das Gesetz die Verwandten unterschiedlichen Ordnungen zu. Diese Zuordnung ist abhängig vom Grad der Verwandtschaft mit dem Erblasser. Damit ist die Verwandtschaft mit dem Erblasser bzw. die Abstammung vom Erblasser die Grundlage für das Erbrecht. Der Begriff Parentelsystem leitet sich aus dem lateinischen \”parentela\” ab, welches für die deutschen Begriffe Abstammung und Verwandtschaft steht.

Alle Abkömmlinge eines Stammvaters einschließlich dem Stammvater selbst bilden nach diesem System eine Parentel. Das bürgerliche Gesetzbuch verwendet statt der Bezeichnung Parentel den Begriff Ordnung. Innerhalb dieser Ordnung nimmt das Gesetz eine Differenzierung der Verwandten und Abkömmlinge des Erblassers vor, die sich an der verwandtschaftlichen Nähe zum Erblasser orientiert.

Erbrecht: Erben erster bis vierter Ordnung

Das deutsche Erbrecht kennt vier unterschiedliche Ordnungen hinsichtlich der Erbfolge.

I. Erben erster Ordnung

Erben der ersten Ordnung (§ 1924 BGB) sind die Abkömmlinge des Erblassers. Unter Abkömmlingen sind die Kinder des Erblassers, Enkelkinder, Urenkel usw. zu verstehen.

II. Erben zweiter Ordnung

Die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge sind Erben zweiter Ordnung (§ 1925 BGB).

III. Erben dritter Ordnung

Die Großeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge bilden die Gruppe der Erben dritter Ordnung (§ 1926 BGB).

IV. Erben vierter Ordnung

Erben der vierten Ordnung sind die Urgroßeltern und deren Abkömmlinge (§ 1927 BGB).

Die Ordnungen stehen untereinander in einem klaren Rangverhältnis. Die Mitglieder der ersten Ordnung schliessen alle Verwandten, die den übrigen Ordnungen angehören, von der Erbfolge aus. D.h. ein Abkömmling des Erblassers, der zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers lebt, schließt alle übrigen Verwandten, die nicht ebenfalls Erben erster Ordnung sind, von der Erbschaft aus.

Erst wenn keine Abkömmlinge mehr vorhanden sind, geht das Erbrecht auf die Verwandten über, die den nachgeordneten Ordnungen angehören. Auch hier gilt der Grundsatz, dass ein Angehöriger einer übergeordneten Ordnung alle Mitglieder der nachgeordneten Ordnungen von der Erbschaft ausschließt. Lebt somit zum Zeitpunkt des Erbfalls noch ein Elternteil des Erblassers, so sind die Erben dritter und vierter Ordnung von der Erbschaft vollständig ausgeschlossen. Gleiches gilt für das Verhältnis der Erben dritter Ordnung zu den Erben der vierten Ordnung.

Leben zum Zeitpunkt des Erbfalls keine Verwandten und Abkömmlinge des Erben der ersten bis zur vierten Ordnung mehr, so werden Erben die entfernten Verwandten des Erblassers im Sinne des § 1929 BGB.

Erbrecht: Verwandtenerbfolge – Repräsentationsprinzip

Aus dem erbrechtlichen Repräsentationsprinzip ergibt sich, dass innerhalb einer Ordnung ein zum Zeitpunkt des Erbfalls lebender Verwandter seine eigenen Abkömmlinge von der Erbschaft ausschließt. Diese Regel ist anhand eines simplen Beispiels leicht nachvollziehbar.

Vater A hat drei Söhne (B, C und D). Jeder dieser Söhne hat seinerseits zwei Kinder. Der älteste der Söhne (B) ist zum Zeitpunkt des Todes des Vaters selbst bereits verstorben. Damit werden die beiden noch lebenden Söhne (C und D) zu je ein drittel Erbe ihres Vaters. Sie schließen ihre eigenen Kinder von der Erbfolge aus, da sie zum Zeitpunkt des Todes des Vaters selbst noch am Leben sind. Da der älteste Sohn (C) aber bereits verstorben ist, treten an seine Stelle seine beiden Kinder (Abkömmlinge), die jeweils zu einem Sechstel Erben werden.

Der zum Zeitpunkt des Erbfalls lebende Abkömmling des Erblassers repräsentiert somit im Augenblick des Erbfalls seine eigenen Abkömmlinge. Er schließt diese damit von einer Erbschaft aus. Mithin repräsentiert er seine Abkömmlinge im Erbfall. Aus diesem Grunde wird dieses Prinzip als erbrechtliches Repräsentationsprinzip bezeichnet.

Erbrecht: Verwandtenerbrecht – Das Eintrittsrecht

Spiegelbildlich zum Repräsentationssystem ordnet das bürgerliche Gesetzbuch in § 1924 Abs. 3 BGB das so genannte Eintrittsrecht an. Aus dem Eintrittsrecht ergibt sich, dass an die Stelle eines weggefallenen gesetzlichen Erben dessen Abkömmlinge treten. Im vorstehenden Beispiel treten die Kinder des Sohnes C im Erbfall an dessen Stelle, da der Sohn gesetzlicher Erbe seines Vaters war und zum Zeitpunkt des Erbfalls selbst bereits verstorben war.

Die Vorschrift des § 1924 Abs. 3 BGB ist aber nicht wörtlich anzuwenden. Der Gesetzgeber formuliert, \”die zur Zeit des Erbfalls nicht mehr lebenden Abkömmlinge\”. Das Eintrittsrecht erstreckt sich aber nicht nur auf Erben, die zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr leben, sondern auf alle Abkömmlinge, die nicht mehr zum Erben berufen sind. Hierunter fallen die Erben, die die Erbschaft ausgeschlagen haben oder für erbunwürdig erklärt wurden. Auch an die Stelle dieser Erben treten somit im Erbfall deren Abkömmlinge.

Ordnet der Erblasser testamentarisch die Enterbung eines seiner Abkömmlinge an, so stellt sich die Frage, ob dessen Kinder und sonstigen Abkömmlinge an seine Stelle treten. Abzustellen ist zur Entscheidung dieser Frage auf den Wortlaut der testamentarischen Anordnung und damit auf deren Auslegung. Ist eine zweifelsfreie Auslegung nicht möglich, so geht die Rechtsprechung davon aus, dass sich der Ausschluss von der Erbfolge nicht auf die Abkömmlinge des enterbten Verwandten bezieht. Vielmehr gilt in diesem Fall das Eintrittsrecht, was zur Folge hat, dass die Abkömmlinge des enterbten Verwandten selbst zu Erben werden.

Anders stellt sich die Rechtslage hinsichtlich des Eintrittsrechtes dar, wenn ein Abkömmling des Erblassers gemäß § 2346 BGB auf sein gesetzliches Erbrecht verzichtet hat. In diesem Fall gelangt die gesetzliche Auslegungsregel des § 2349 BGB zu dem Schluss, dass sich die rechtliche Wirkung dieser Verzichterklärung auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstreckt. Diese werden dann ebenfalls nicht Erben. Soweit diese Wirkung im Zusammenhang mit der Abgabe der Erbverzichtserklärung nicht gewünscht ist, muss dies ausdrücklich mit erklärt werden.

Erbrecht: Verwandtenerbrecht – Erbfolge nach Stämmen

In § 1924 Abs. 3 BGB ordnet der Gesetzgeber an, dass an die Stelle eines zur Zeit des Erbfalls nicht mehr lebenden Abkömmlings die durch ihn mit dem Erblasser verwandten Abkömmlinge treten. Damit enthält § 1924 Abs. 3 BGB eine Regelung hinsichtlich der Erbquote.

Jeder Abkömmling des Erblassers bildet mit seinen Abkömmlingen einen so genannten erbrechtlichen Stamm. Die Erbquote ergibt sich sodann aus der Anzahl der Stämme. Es kommt nicht darauf an, wie viele Personen den jeweiligen Stämmen angehören. Auch hier hilft ein Beispiel zum Verständnis der gesetzlichen Regelung.

Vater V hat zwei Söhne (A und B). Der Sohn A ist Vater seiner Tochter T. Der Sohn B hat seinerseits zwei Kinder, die Söhne X und Y. Die Söhne A und B versterben bei einem Unfall vor ihrem Vater V. Damit treten im Erbfall die Abkömmlinge der Söhne A und B an die Stelle von A und B. Die Regelung in § 1924 Abs. 3 BGB führt nun dazu, dass die Tochter T den Erbanteil ihres Vaters erhält, das heißt 50 % der Erbschaft. Die Söhne X und Y leiten ihren Anspruch von ihrem Vater (Sohn B) ab. Auf den Sohn B entfallen ebenfalls 50 % der Erbschaft. Diese 50 % müssen sich die Abkömmlinge des B teilen. Damit werden die Söhne des B (X und Y) jeweils zu 25 % Erben.

Die Höhe des Erbanteils ist damit abhängig von der Anzahl der Stämme und nicht von der Anzahl der Erben.

Erbrecht: Verwandtenerbrecht – Linienprinzip

Das erbrechtliche Linienprinzip kommt immer dann zum Tragen, wenn kein Erbe erster Ordnung vorhanden ist. In diesem Fall geht der Nachlass jeweils zur Hälfte an die mütterliche bzw. väterliche Linie des Erblassers.

Lebt im Erbfall ein Erbe erster Ordnung, schließt er alle übrigen Verwandten, d.h. die Mitglieder der zweiten bis vierten Ordnung vollständig von der Erbschaft aus. Dieses Prinzip wird vom Gesetzgeber durchbrochen, wenn Erben erster Ordnung nicht vorhanden sind. Die Erbfolge hinsichtlich der Mitglieder der zweiten bis dritten Ordnung richtet sich nach dem so genannten Linienprinzip.

Verstirbt ein Erblasser, ohne einen Ehepartner oder Abkömmlinge zu hinterlassen, so werden die Eltern des Erblassers dessen Erben. Würde in diesem Fall die Regeln für die Erben erster Ordnung uneingeschränkt angewandt, so hätte dies zur Folge, dass die Erbschaft vollständig in das Vermögen der Familie eines der beiden Elternteile fällt, wenn zum Zeitpunkt des Erbfalls einer der beiden Elternteile bereits verstorben ist. Diese Folge ist aus Sicht des Gesetzgebers unerwünscht, so dass das Erbrecht durch das Linienprinzip ergänzt wird. Auch hier hilft zum Verständnis ein einfaches Beispiel.

Der Erblasser E verstirbt, ohne einen Ehepartner oder Abkömmling zu hinterlassen. Zum Zeitpunkt des Erbfalls lebt seine Mutter noch. Der Vater V ist verstorben. Zum Zeitpunkt des Todes leben aber noch die beiden Geschwister des E, d.h. die Brüder X und Y. Das Linienprinzip ordnet nun an, dass das Erbe des E zwischen der väterlichen und der mütterlichen Linie geteilt wird. Da die Mutter noch lebt, erhält sie 50 % der Erbschaft. Der Vater ist verstorben. An seine Stelle treten die Brüder des E. Diese sind Erben des gemeinsamen Vaters und erhalten daher, da der Erbanteil hinsichtlich der väterlichen Linie an sie fällt, ebenfalls zusammen 50 % der Erbschaft.

Anders stellt sich der Fall dar, wenn der Erblasser E keine Brüder gehabt hätte. In diesem Fall wäre seine Mutter Alleinerbin geworden.

Erbrecht: Verwandtenerbrecht – Gradualsystem

Das erbrechtliche Gradualsystem greift in die Regelung der Erbfolge ein, wenn keine Erben erster bis vierter Ordnung ermittelt werden können. In diesem Fall ist der gesetzliche Erbe unter den Erben ferner Ordnung gemäß § 1929 BGB zu ermitteln.

Aufgrund der erheblichen verwandtschaftlichen Entfernung dieser Erben vom Erblasser hätte die Anwendung des Prinzips des erbens nach Stämmen zur Folge, dass die Erbschaft an eine Vielzahl von Erben fällt. Diese Folge würde in der Praxis zu erheblichen Problemen bei der Abwicklung des Erbfalls führen. Aus diesem Grunde gilt für den Fall, dass kein Erbe erster bis vierter Ordnung ermittelt werden kann, das Gradualsystem.

Das Gradualsystem besagt, dass diejenigen Erben werden, die mit dem Erblasser am nächsten verwandt sind. Dieser Grundsatz gilt ohne Berücksichtigung des erbrechtlichen Stammesprinzips. Damit hängt die Erbenstellung ausschließlich von der Nähe des Verwandtschaftsgrades zum Erblasser ab. Dies kann zur Folge haben, dass eine Person, die mit dem Erblasser näher verwandt ist, als alle anderen in Frage kommenden Personen, Alleinerbe des Erblassers wird. Der oder die nächsten Verwandten schließen somit alle anderen Verwandten von der Erbfolge aus.

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