VG Bremen – Beschluss vom 10.02.2012

Sozialhilferegress gegen Erben

Aktenzeichen 5 K 518/04

Beschlusstenor:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

3) Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Sachverhalt:

Der Kläger wendet sich gegen den Kostenersatz von Sozialhilfeleistungen, den er als Erbe seiner Mutter erbringen soll.
Die Mutter des Klägers war während der letzten Jahre ihres Lebens in dem Pflegeheim H in O untergebracht. Bis zum September 1993 konnten die Heimkosten noch aus eigenen Mitteln bestritten werden. Auf Antrag des Betreuers der Mutter des Klägers übernahm das Amt für Soziale Dienste mit Bescheid vom 06. Oktober 1993 die Kosten für die Unterbringung im Seniorenpflegeheim. Die Leistungen wurden für die kommenden Jahre durchgehend gewährt. Nach erfolgter Höherstufung in der Pflegestufe wurden der Mutter des Klägers erhöhte Leistungen aus der Pflegeversicherung gewährt. Außerdem erhielt sie ab Juli 1996 ein Pflegewohngeld durch den Landkreis Verden. Vor dem Hintergrund der veränderten Einkommensverhältnisse stellte das Amt für Soziale Dienste mit Bescheid vom 24.06.1998 die Leistungen der Hilfe zur Pflege nach Bundessozialhilfegesetz (BSHG) rückwirkend ab dem 30.06.1996 ein. Im November 1998 verstarb die Mutter des Klägers. Darauf hin wandte sich das Amt für Soziale Dienste im Rahmen der Prüfung der Kostenersatzpflicht an den Betreuer der verstorbenen Hilfeempfängerin. Dieser teilte auf die Anfrage mit, dass er an den Kläger und dessen Bruder ein Nachlassvermögen von insgesamt 23.304,30 DM ausgekehrt habe. Danach seien an jeden der beiden 11.660,19 DM ausgezahlt worden.
Mit Bescheid vom 21.10.1999 forderte das Amt für Soziale Dienste von dem Kläger einen Ersatz der nicht durch Einnahmen gedeckten Sozialhilfekosten für die Heimunterbringung aus dem Nachlass seiner verstorbenen Mutter. Die Höhe der Ersatzforderung wurde auf 8544,19 DM (4373,69 €) festgesetzt. Der auf den Kläger entfallene Anteil des Nachlasses wurde mit 11.660,19 DM beziffert, von dem ein Freibetrag in Höhe von 3.106,00 DM zugunsten des Klägers in Abzug gebracht wurde. Gegen den Bruder des Klägers wurde als weiteren Erben ein gleichlautender Bescheid unter dem 22.11.1999 erlassen.
Der Kläger legte am 09.11.1999 Widerspruch ein. Er sei arbeitslos und deshalb nicht in der Lage, den geforderten Betrag zuzahlen. Eine weitergehende Begründung des Widerspruchs und des später eingelegten Widerspruchs des Bruders des Klägers erfolgte durch deren gemeinsamen Verfahrensbevollmächtigten. Er führte im Wesentlichen aus, dass die Aufwendungen des Amtes für die Unterbringung der Mutter des Klägers nicht nachvollziehbar dargelegt seien. Die Brüder hätten die ihnen zugeflossenen Beträge aus dem Erbe der Mutter als ihnen zustehend vereinnahmt und sofort ausgegeben. Eine Rechtsgrundlage, wonach die Erben für die Rückzahlung möglicherweise an die Mutter gewährter Leistungen verpflichtet seien, werde nicht gesehen.
Der Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2004 als unbegründet zurück. Nach § 92 c Abs. 1 BSHG seien die Erben eines Hilfeempfängers zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet, die innerhalb eines Zeitraums von 10 Jahren vor dem Erbfall aufgewendet worden seien und die das Zweifache des Grundbetrags nach § 81 Abs. 1 BSHG überstiegen. Der Erbe hafte nur mit dem Nachlass. Der hieraus zu zahlende Betrag sei zutreffend berechnet worden. Gründe für ein Absehen von der Inanspruchnahme lägen nicht vor. Insbesondere sei keine besondere Härte festzustellen. Die Haftung des Erben bleibe auch dann bestehen, wenn er vor der Inanspruchnahme durch den Sozialhilfeträger den Nachlass oder wesentliche Teile davon veräußert habe. Der Widerspruchsbescheid wurde am 01.03.2004 zugestellt.
Am 09.03.2004 haben der Kläger und der Bruder des Klägers gemeinsam Klage beim Verwaltungsgericht erhoben. Sie hätten keine Kenntnis darüber, ob die Mutter Sozialhilfeleistungen bezogen habe. Es habe kein Kontakt bestanden. Für die Mutter sei ein Betreuer bestellt gewesen. Die Auszahlung des Erbes sei in Bargeld erfolgt. An die Höhe des Betrages hätten sie keine Erinnerung. Seit dem Tod der Mutter sei ein Zeitraum von sechs Jahren verstrichen. Die Beträge seien sofort ausgegeben und demgemäß verbraucht worden. Der Kläger sei heute noch arbeitslos und verfüge nur über geringe Einkünfte.
Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid des Amtes für Soziale Dienste vom 21.10.1999 und den Widerspruchsbescheid des Senators für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales vom 23-02.2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihre Ausführungen im behördlichen Verfahren.
Das Gericht hat das Verfahren des Bruders des Klägers – des ehemaligen Klägers zu 2 – von dem vorliegenden Verfahren durch Beschluss vom 23.02.2012 abgetrennt, weil nach dem Vorbringen des Klägervertreters im Anschuss an die mündliche Verhandlung Bedenken gegen seine Prozessfähigkeit bestanden haben. Mit Beschluss vom gleichen Tage hat das Gericht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf den Kläger des vorliegenden Verfahrens mit der Begründung abgelehnt, dass ein neues Vorbringen zu entscheidungserheblichen Fragen bezogen auf den Kläger des vorliegenden Verfahrens nicht gegeben sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Beschlussbegründung:

Die Klage ist unbegründet.
Der angegriffene Leistungsbescheid vom 21.10.1999 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechtenn (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für den von der Beklagten geltend gemachten Kostenersatzanspruch ist § 92 c Abs. 1 BSHG. Nach dieser Vorschrift ist der Erbe eines Hilfeempfängers zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe, die innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren vor dem Erbfall aufgewendet wurden und die das Zweifache des Grundbetrags nach § 81 Abs. 1 BSHG übersteigen, mit dem Wert des vorhandenen Nachlasses verpflichtet.
Der Regelung liegt das gesetzgeberische Anliegen zugrunde, solche Unbilligkeiten zu beseitigen, die darin bestehen, dass zum Nachlass Vermögen zählt, das für den Hilfeempfänger selbst aus persönlichen Gründen geschützt ist, für diese Freistellung aber beim Erben kein schützwürdiger Grund vorliegt. Ein Erben zu Lasten öffentlicher Mittel soll durch die Vorschrift ausgeschlossen werden (Schellhorn, BSHG, 16. Aufl., § 92c Rn. 1). § 92 c BSHG führt zu einer unmittelbaren, eigenständigen Haftung des Erben gegenüber dem Träger der Sozialhilfe. Zu ersetzen sind alle Kosten der Sozialhilfe, sowohl die Kosten der Hilfe zum Lebensunterhalt als auch die Kosten der Hilfe in besonderen Lebenslagen, gleich ob sie laufend oder nur einmal gewährt worden sind.
1. Die Voraussetzungen für die Ersatzpflicht des Klägers sind vorliegend erfüllt.
An den Kläger ist als Erbe der verstorbenen Hilfeempfängerin, die von 1993 bis 1996 Hilfe zur Pflege nach § 68 BSHG in einer ungedeckten Höhe von über 100.000 DM erhalten hatte, nach Abzug der Nachlassverbindlichkeiten ein Betrag von 11.660,19 DM ausgekehrt worden. Die Sozialhilfeleistungen an die Mutter des Klägers als Hilfeempfängerin sind rechtmäßig gewährt worden. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass ihr in dem fraglichen Zeitraum von 1993 bis 1996 Leistungen gewährt worden wären, auf die sie nach den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes keinen Anspruch gehabt hätte. Auch die Höhe der geleisteten Zahlungen steht nicht in Frage. Eine detaillierte Aufstellung der Kosten – getrennt nach Heimpflegekosten und Taschengeld auf der einen Seite und Einnahmen über die Witwen- und Betriebsrente andererseits – ist dem Klägervertreter mit Schreiben des Amtes für Soziale Dienste vom 17. Mai 2000 übersandt worden. Weder die einzelnen Positionen noch die Zusammenstellung insgesamt sind im vorliegenden Verfahren substantiiert bestritten worden. Allein die Unkenntnis des Klägers darüber, dass seine Mutter überhaupt Hilfe zur Pflege erhalten habe, reicht nicht aus, um die tatsächliche Erbringung der Leistungen durch die Beklagte in der genannten Höhe in Zweifel zu ziehen. Die Ersatzpflicht wird auch ausschließlich für solche Kosten der Sozialhilfe geltend gemacht, die innerhalb eines Zeitraumes von 10 Jahren vor dem Erbfall aufgewendet worden sind und das Zweifache des Grundbetrages nach § 81 Abs. 1 BSHG übersteigen (vgl. § 92 c Abs. 1 Satz 2 BSHG). Die Aufwendungen der Sozialhilfe sind in den Jahren von 1993 bis 1996 erfolgt. Der Erbfall ist im Jahre 1998 eingetreten. Die Gesamtaufwendungen haben in dem genannten Zeitraum eine Summe von über 100.000 DM überstiegen und liegen damit deutlich über dem zweifachen Grundfreibetrag von 3106 DM.
2. Der Umfang der Erbenhaftung ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Nach § 92 c Abs. 2 BSHG gehört die Ersatzpflicht des Erben zu den Nachlassverbindlichkeiten. Damit stellt die Vorschrift zugleich klar, dass sich die Haftung des Erben auf den Nachlass beschränkt. Ersatzpflicht bezieht sich nicht auf das eigene Einkommen oder Vermögen. Unter Nachlass ist das dem Erben angefallene Aktivvermögen des Erblassers abzüglich der Nachlassverbindlichkeiten zu verstehen. Die Haftungsbeschränkung auf den Nachlass ist dabei nicht gegenständlich, sondern wertmäßig zu verstehen. Die Haftung der Erben nach dieser Vorschrift bleibt bestehen, auch wenn sie vor der Inanspruchnahme auf Kostenersatz den Nachlass oder Teile des Nachlasses bereits verbraucht oder veräußert haben. Der Gesetzgeber hat durch die Einfügung des Satzes 2 in § 92 c Abs. 2 BSHG die Haftung des Erben mit dem Wert des im Zeitpunkt des Erbfalles vorhandenen Nachlasses ausdrücklich geregelt (vgl. Schellhorn, a. a. O. Rn. 16 m. w. N.) und hat damit eine zuvor entgegenstehende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 90, 250) korrigiert. Der Kläger haftet dementsprechend mit dem Wert des ihm zugefallenen Anteils des Gesamtnachlasses von 11.660,19 DM. Soweit er gegen den Bescheid einwendet, dass er den Nachlass alsbald nach Erhalt verbraucht habe, steht dieser Umstand seiner Haftung nicht entgegen. Gegenüber der Erbenhaftung nach § 92 c BSHG kann sich der Erbe nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen. Er haftet mit dem Wert des erhaltenen Nachlasses ungeachtet dessen, ob dieser zum Zeitpunkt des Eintritts der Kostenersatzpflicht in seinem Vermögen noch vorhanden ist.
3. Die Beklagten hat bei der Geltendmachung des Kostenersatzanspruchs die Grenzen des § 92 c Abs. 3 BSHG beachtet.
a) Nicht geltend zu machen ist der Anspruch auf Kostenersatz, soweit der Wert des Nachlasses unter dem Zweifachen des Grundbetrags nach § 81 Abs. 1 BSHG liegt. Von dieser Regelung ist die Beklagte zu Gunsten des Klägers dahingehend abgewichen, dass sie den zweifachen Grundbetrag von 3.106 DM sowohl gegenüber dem Kläger als auch gegenüber dessen Bruder in Abzug gebracht hat. Der Freibetrag hätte jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei mehreren Erben nur einmal vom Nachlass abgesetzt werden dürfen (BVerwG NDV 1979, 173).
b) Die Inanspruchnahme des Klägers als Erben stellt auch keine besondere Härte im Sinne des § 92 c Abs. 3 Nr. 3 BSHG dar. Der Anwendung dieser Vorschrift sind durch den Begriff „besondere Härte“ enge Grenzen gesetzt. Diese kommt nur dann in Betracht, wenn es sich um einen atypischen Lebenssachverhalt handelt, bei dem die Anwendung der Regelvorschriften zu einem der Leitvorstellung des Gesetzgebers nicht entsprechenden Ergebnis führen (BVerwGE 47, 104 <111 f.>, Schellhorn, a. a. O., Rn. 24). Anhaltpunkte hierfür sind im Falle des Klägers nicht gegeben. Soweit der Kläger vorträgt, bereits zum Zeitpunkt des Erbfalls arbeitslos gewesen zu sein, begründet dies nicht die Annahme einer besonderen Härte. § 92 c Abs. 2 Satz 2 BSHG ist die Haftung des Erben auf den Wert des im Zeitpunkt des Erbfalles vorhandenen Nachlasses begrenzt. Bezugspunkt der Erbenhaftung ist der Nachlasswert und nicht das Einkommen des Klägers. Demzufolge kommt es für den Ersatzanspruch auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Erben regelmäßig nicht an. Schließlich begründet auch die Dauer des Widerspruchsverfahrens und des gerichtlichen Verfahrens keine besondere Härte für den Kläger. Die Forderung der Beklagten ist dem Kläger seit Erlass des Ausgangsbescheides bekannt. Die Inanspruchnahme von Rechtsschutzmöglichkeiten mit der Folge, bis auf Weiteres von der Durchsetzung eines Verwaltungsaktes verschont zu bleiben, kann auch bei langer Verfahrensdauer nicht dazu führen, dass dadurch nachträglich eine besondere Härte begründet wird. Im Übrigen hätte der Kläger gerade in Anbetracht des über Jahre andauernden Verfahrens die Gelegenheit gehabt, sich auf die mögliche Begleichung der Forderung unter Berücksichtigung seiner geringen Einkünfte einzustellen.
4. Schließlich ist der Anspruch auf Kostenersatz auch nicht nach § 92 c Abs. 4 BSHG erloschen. Der Anspruch erlischt grundsätzlich in 3 Jahren nach dem Tode des Hilfeempfängers. Aufgrund der entsprechenden Geltung des § 92 a Abs. 3 Satz 2 BSHG und den danach heranzuziehenden Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Hemmung und Unterbrechung der Verjährung ist die Frist vorliegend durch Erlass des Leistungsbescheides unterbrochen worden, da er nämlich nach § 93 a Abs. 3 Satz 2 der Erhebung der Klage gleichsteht.
Nach alledem bleibt die Klage ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 ZPO.

Beschluss:

Der Streitwert wird zum Zwecke der Kostenberechnung gemäß § 52 Abs. 3 GKG auf 4373,69 Euro festgesetzt.