LG Frankfurt a.M.- Beschluss vom 04.02.2025 – Az.: 2-04 O 29/25

LG Frankfurt a.M.- Beschluss vom 04.02.2025 - Az.: 2-04 O 29/25

Gericht: Landgericht Frankfurt am Main

Aktenzeichen: 2-04 O 29/25

Entscheidung: 04.02.2025

Zusammenfassung des Sachverhaltes:

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Herausgabe des kryokonservierten Keimmaterials ihres verstorbenen Ehemanns, das beim Antragsgegner, einer Klinik, eingelagert ist. Der verstorbene Ehemann hatte vor einer Krebstherapie einen Vertrag mit dem Antragsgegner über die Kryokonservierung seines Spermas geschlossen. Der Vertrag sah eine jährliche Verlängerung vor und enthielt Regelungen zur Herausgabe und Vernichtung des Materials nach dem Tod des Patienten. Insbesondere war eine Herausgabe an Dritte nur unter bestimmten Voraussetzungen und mit Vollmacht möglich, während im Todesfall die Vernichtung vorgesehen war, gestützt auf das Embryonenschutzgesetz.

Nach dem Tod des Ehemanns im Jahr 2024 bemühte sich die Antragstellerin um die Herausgabe des Keimmaterials, um in einer spanischen Klinik eine IVF-Behandlung durchführen zu lassen. Die spanische Klinik bestätigte, dass lediglich die Samenprobe des verstorbenen Partners fehle, um die Behandlung fortzusetzen. Der Antragsgegner verweigerte die Herausgabe unter Verweis auf strafrechtliche Risiken und die vertragliche Verpflichtung zur Vernichtung des Materials nach dem Tod des Patienten. Die Antragstellerin legte eine eidesstattliche Versicherung vor, in der sie schilderte, dass sie und ihr Ehemann einen gemeinsamen Kinderwunsch hatten, der auch nach dem Tod des Ehemanns fortbestehen sollte. Sie führte aus, dass ihr Ehemann ausdrücklich gewollt habe, dass sie mit seinem Samen auch nach seinem Tod ein Kind bekommen könne.

Der Antragsgegner argumentierte, dass eine Herausgabe strafbar sein könnte, insbesondere unter Berufung auf eine Entscheidung des OLG München, und dass die vertraglichen Regelungen eindeutig seien. Die Antragstellerin verwies hingegen auf eine Entscheidung des OLG Hamburg, die einen Herausgabeanspruch unter bestimmten Voraussetzungen bejaht hatte. Die Antragstellerin hatte nach dem Tod ihres Ehemanns zunächst versucht, eine einvernehmliche Lösung mit dem Antragsgegner zu finden, was jedoch scheiterte. Der Vertrag über die Lagerung des Keimmaterials wurde zwischenzeitlich um ein weiteres Jahr verlängert.

Im Verfahren wurde die Dringlichkeit des Antrags thematisiert, da nach spanischem Recht eine künstliche Befruchtung nur innerhalb eines Jahres nach dem Tod des Ehemanns zulässig ist. Die Antragstellerin ist testamentarisch als Alleinerbin eingesetzt und damit allein anspruchsberechtigt. Die Glaubhaftmachung des Sachverhalts erfolgte insbesondere durch die eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin und die Vorlage von Unterlagen der spanischen Klinik. Die Antragstellerin machte geltend, dass die Herausgabe des Keimmaterials ihrem und dem Willen ihres verstorbenen Ehemanns entspreche und dass eine spätere gerichtliche Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu spät käme, um die IVF-Behandlung noch durchführen zu können.

Zusammenfassung der Urteilsgründe:

Das Landgericht Frankfurt am Main hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung überwiegend stattgegeben. Es bejaht sowohl einen Verfügungsanspruch als auch einen Verfügungsgrund. Die Dringlichkeit sei gegeben, da die Antragstellerin nach dem Scheitern der Gespräche mit dem Antragsgegner zügig den Antrag gestellt habe und die Frist nach spanischem Recht für eine IVF-Behandlung nach dem Tod des Ehemanns nur ein Jahr betrage. Die Bemühungen um eine einvernehmliche Lösung und die schwierige persönliche Situation der Antragstellerin seien zu berücksichtigen.

Das Gericht hält den Sachvortrag der Antragstellerin für glaubhaft, insbesondere aufgrund ihrer eidesstattlichen Versicherung. Der vertragliche Herausgabeanspruch könne nach dem Tod des Ehemanns von der Antragstellerin als Alleinerbin geltend gemacht werden. Die im Vertrag vorgesehene Vernichtungsklausel sei im Lichte des Schutzzwecks des Embryonenschutzgesetzes auszulegen. Der Schutzzweck bestehe im Schutz der reproduktiven Autonomie des Mannes und der Frau. Im vorliegenden Fall sei davon auszugehen, dass der verstorbene Ehemann ausdrücklich oder zumindest konkludent in die Verwendung seines Keimmaterials nach seinem Tod eingewilligt habe, wie die eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin und die Vertragsverlängerungen belegten.

Das Gericht setzt sich mit der strafrechtlichen Problematik auseinander und kommt zu dem Ergebnis, dass keine Strafbarkeit der Mitarbeiter des Antragsgegners vorliege, da eine ausdrückliche Einwilligung des Verstorbenen vorliege. Auch eine Kindeswohlgefährdung sei nicht ersichtlich, da der Kinderwunsch beider Elternteile dokumentiert sei. Die Herausgabe sei jedoch auf eine spanische Klinik zu beschränken, da nur für diese die rechtlichen Voraussetzungen und die Dringlichkeit glaubhaft gemacht worden seien. Im Übrigen wurde der Antrag zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, der Streitwert wurde auf 20.000 Euro festgesetzt. Das Gericht verweist ergänzend auf die eingereichten Schriftsätze und die eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin.

Tenor:

  1. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Verfügung – der Dringlichkeit wegen ohne vorherige mündliche Verhandlung – aufgegeben, das kryokonservierte Keimmaterial des verstorbenen Ehemanns der Antragstellerin, …, an einen von der Antragstellerin beauftragten zertifizierten Transportdienst herauszugeben, der es dann im Auftrag der Antragstellerin an die [Name Klinik] oder eine andere spanische Klinik transportieren wird, wo eine IVF-Behandlung geplant ist.
  2. Im Übrigen wird der Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
  3. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
  4. Der Streitwert wird auf 20.000,00 € festgesetzt.

Begründung der Entscheidung:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist gemäß §§ 935, 940, 937 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 294 ZPO begründet.

I. Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Verfügung und macht in diesem Verfahren einen Anspruch auf die Herausgabe des von dem Antragsgegner kryokonservierten Keimmaterials ihres verstorbenen Ehemanns geltend.

Nachdem die Ehegatten sich kennengelernt hatten und vor Beginn einer weiteren Therapie seiner Krebserkrankung, schloss der inzwischen verstorbene Ehemann der Antragstellerin am … mit dem Antragsgegner einen Vertrag über die Kryokonservierung seines aus diesem Anlass abgegebenen Spermas.

Dieser Vertrag enthält unter anderem unter Ziffer IV. folgende Regelung zur Vertragsdauer:

„3. Der Vertrag verlängert sich jeweils um 12 Monate, es sei denn der Patient kündigt diesen Vertrag 2 Monate vor Vertragsende.“

Unter Ziffer „VI. Folgen der Vertragsbeendigung“ (vgl. Bl. 27 d. A.) enthält der Vertrag folgende Bestimmungen:

„1. Ist der Vertrag aufgrund des Ablebens des Patienten beendet worden, muss das kryokonservierte Keimzellenmaterial des Patienten vernichtet werden. § 4 Absatz 1 Ziffer 3 des Embryonenschutzgesetzes untersagt, die Proben eines Mannes nach dessen Tod für die künstliche Befruchtung zu nutzen.“ […]

„6. Teilt der Patient schriftlich mit, dass er die Herausgabe der kryokonservierten Proben aus der Kryobank der Klinik wünscht, so ist eine solche Herausgabe nur an den Patienten persönlich möglich. Personen, die im Besitz einer Ausweiskopie des Probeneigentümers nebst Codenummer sowie einer persönlichen Legitimation sind, sind berechtigt, die Herausgabe der Proben zu verlangen. In jedem Fall muss der Klinik eine aktuell datierte und handschriftlich unterzeichnete Vollmacht des Patienten zur Herausgabe seiner Kryogewebe vorliegen.“

Dem Vertag angehängt ist ein zweiseitiger Informationsbogen zum Transport von Kryogeweben (Bl. 28 f. d. A.).

Im Dezember 2021 erfolgte eine erneute Krebstherapie des Ehemanns der Antragstellerin, die auch eine Operation umfasste. Nach einem von den Eltern des verstorbenen Ehemanns angeregten Betreuungsverfahren im Mai …, bei dem keine Betreuung angeordnet wurde, errichteten die Eheleute im Juni … ein Testament und umfassende Vorsorgevollmachten wurden erteilt. Nach einer Lungenembolie des Ehemanns der Antragstellerin am … fand eine weitere Bestrahlung bei diesem vom … bis zum … statt.

Nach einer erneuten Therapie im September und Oktober … wurde die Behandlung im Dezember … beendet. Am … verstarb der Ehemann der Antragstellerin. Am 23.07.2024 wurde der Antragstellerin von der „[Name Klinik]“, Spanien, bestätigt, dass lediglich die Samenprobe des Partners der Antragstellerin, die dort als Patientin bezeichnet wird, fehle, um die Behandlung der Patientin fortzuführen.

Einem Herausgabeverlangen der Antragstellerin kam der Antragsgegner nicht nach, jedoch wurde der Vertrag über die Lagerung des Kryokonservats um 12 Monate verlängert (vgl. Bl. 49 d.A.).

Die Antragstellerin schildert in ihrer eidesstattlichen Versicherung (Bl. 18-19 d. A.), dass das Ehepaar im Jahr 2022 zu IVF-Verfahren recherchierte, jedoch keine konkreten Schritte ergriffen wurden, da Eile an anderer Stelle geboten gewesen sei, um einen erneuten Übergriff der Eltern des Ehemanns der Antragstellerin zu vermeiden (Bl. 19 d. A.). Sie schildert, dass sie und ihr Ehemann darüber geredet hatten, dass es vielleicht ein gemeinsames Kind geben könne, was für beide ermutigend gewesen sei. Sie führt aus, dass ihr Ehemann geäußert habe, dass es ihn beruhigen würde, dass da auch irgendwas von ihm lebendig bliebe und seine Ehefrau auch immer an ihn und die gemeinsame Zeit erinnern werde, wenn er vielleicht sterben würde. Es habe auch die Hoffnung bestanden, dass er das Kind vielleicht noch erleben werde. Nach Beendigung der Behandlung im Dezember … haben die Eheleute nach der Schilderung der Antragstellerin beschlossen, im neuen Jahr ein Kind zu bekommen. Dabei habe das auch für ihren Ehemann bedeutet, dass die Antragstellerin mit seinem Samen schwanger werden würde, auch wenn er schon gestorben wäre und Schwangerschaft und Geburt nicht mehr erleben würde. Es habe ihn beruhigt, dass da noch etwas von ihm sein würde (Bl. 19 d. A.).

Dem entgegnet der Antragsgegner im Kern, dass der Herausgabeanspruch abzulehnen sei, da es – wie auch in vorangehenden, außergerichtlichen Schriftsätzen gegenüber der Antragstellerin ausgeführt – Strafbarkeitsrisiken des Antragsgegners gebe, die sich wesentlich auch aus einer Entscheidung des OLG München vom 22.02.2017 (Az. 3 U 4080/16 = OLG München NZFam 2017, 957) ergeben würden und an denen die Entscheidung des OLG Hamburg vom 11.11.2021 (Az. 6 W 28/21 = OLG Hamburg NJW 2022, 2344 Rn. 23) nichts geändert habe.

Der Antrag auf einstweilige Verfügung wurde laut Vermerk der Geschäftsstelle am 28.01.2025 an den Antragsgegner zur Stellungnahme binnen 3 Tagen per Post übersandt. Die am 03.02.2025 eingegangene Stellungnahme des Antragsgegners wurde berücksichtigt.

II. Für den von der Antragstellerin geltend gemachten Herausgabeanspruch gibt es sowohl einen Verfügungsgrund als auch einen Verfügungsanspruch.

  1. Die Antragstellerin hat in etwa innerhalb eines Monats nach dem Scheitern der Gespräche mit dem Antragsgegner den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf den Weg gebracht, was nach Auffassung des Gerichts noch rechtzeitig war, um die Dringlichkeit nicht in Frage zu stellen.

a) Gegen die Eilbedürftigkeit spricht nicht der Umstand, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erst am 24.01.2025 bei Gericht gestellt wurde. In der Rechtsprechung zum Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zwar eine Dringlichkeit verneint, wenn ein Antrag erst mit einer zu großen zeitlichen Verzögerung gestellt wird (etwa OLG Saarbrücken NJW-RR 2020, 504). Jedoch wurde die Antragstellerin bereits im Juli 2024 und damit in zeitlicher Nähe zu dem Tod ihres Ehemanns tätig, wie nicht zuletzt das Schreiben der spanischen Kinderwunschklinik „[Name Klinik]“ zu ihrer IVF-Behandlung belegt (vgl. Bl. 47 d. A.). Die folgenden Verhandlungen um eine einvernehmliche Lösung mit dem Antragsgegner, die in einer Verlängerung des Kryokonservierungsvertrags mündeten (vgl. Bl. 49 d. A.), können die Dringlichkeit ebenfalls nicht entfallen lassen, zumal es sich um eine lebensverändernde Entscheidung unter schwierigen persönlichen Umständen handelt (vgl. OLG Hamburg NJW 2022, 2344 Rn. 23) und die Rechtslage ebenfalls schwierig ist. Letzteres belegt auch das Schreiben des Antragsgegners vom 09.10.2024, in dem auf eine ältere Entscheidung des OLG München (vgl. OLG München NZFam 2017, 957) verwiesen wurde, während die Antragstellerin eine Entscheidung im Sinne des OLG Hamburg (vgl. OLG Hamburg NJW 2022, 2344) anstrebte. Dass der Antrag auf einstweilige Verfügung sodann mit Datum vom 29.12.2024 erst am 24.01.2025 bei Gericht eingegangen ist, ist im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit in diesem Fall einer lebensverändernden Entscheidung ausnahmsweise nicht schädlich, zumal der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin das unter anderem mit einer eigenen Erkrankung erklärt.

b) Vorliegend ist bis zum … 2025 eine künstliche Befruchtung in einer spanischen Klinik – unabhängig von konkreten medizinischen Erfolgsaussichten und ethischen oder moralischen Bewertungen – rechtlich möglich. Ein Hauptsacheverfahren wäre insoweit jedenfalls auch bei einer früheren Klageeinreichung unmittelbar nach dem Scheitern der Vergleichsgespräche mit dem Antragsgegner nicht rechtzeitig durchzuführen gewesen. Die Antragstellerin beruft sich dabei auf spanisches Recht, nach dem bis zu zwölf Monate nach dem Tod des Ehemanns eine künstliche Befruchtung möglich sei. Das ist ausweislich des Art. 9 II des Gesetzes 14/2006 v. 26.05.2006, konsolidierte Fassung unter https://boe.es/buscar/act.php?id=BOE-A-2006-9292, zuletzt geändert durch das Gesetz 19/2015 v. 13.07.2025; abgerufen am 03.02.2025) ein zutreffender Vortrag. Das Gericht hat dazu DeepL Pro-Übersetzungen vorgenommen. Diese Rechtslage liegt auch einer Entscheidung des OLG Hamburg im Fall eines unverheirateten Paares zum Anspruch der Lebensgefährtin auf Herausgabe des kryokonservierten Spermas ihres verstorbenen Lebensgefährten zu Grunde (vgl. OLG Hamburg, NJW 2022, 2344).

c) Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist im einstweiligen Rechtsschutz zwar grundsätzlich zu vermeiden. Ausnahmsweise ist diese jedoch möglich, wenn – wie vorliegend – die Antragstellerin dringend auf die Herausgabe angewiesen ist und das Abwarten eines Titels in der Hauptsache nicht möglich erscheint (vgl. OLG Frankfurt a. M., BeckRS 2016, 4038). Angesichts der sich aus dem spanischen Recht ergebenden Jahresfrist würde der Antragstellerin diese konkrete Möglichkeit zur IVF-Behandlung irreversibel genommen werden. Ein Ausgleich dieser höchstpersönlichen Interessen im Wege der Geldentschädigung erscheint unmöglich (so auch OLG Hamburg, NJW 2022, 2344 Rn. 24).

  1. Das Gericht hält den Sachvortrag der Antragstellerin für glaubhaft. Das reicht gem. § 936 i.V.m. § 920 II ZPO in einem Verfahren aus, das auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichtet ist. Insbesondere die eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin ist ein anerkanntes Mittel der Glaubhaftmachung gem. § 294 ZPO. Die Einreichung der Scans, die die Behandlungsmöglichkeit in der spanischen Kinderwunschklinik „[Name Klinik]“ belegen, ist grundsätzlich zur Glaubhaftmachung geeignet (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., § 294 ZPO Rn. 4). Dabei genügt im einstweiligen Rechtsschutz auch die überwiegende Wahrscheinlichkeit eines präsenten Beweismittels. Ein Vollbeweis muss nicht erbracht werden (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., Rn. 6).

a) Der vertragliche Herausgabeanspruch gegen den Antragsgegner stand zunächst dem verstorbenen Ehemann der Antragstellerin zu. Dabei ergibt sich auch aus Ziff. VI.6. des Konservierungsvertrags, dass ein solches Heraushabeverlangen auch von einem Dritten geltend gemacht werden kann. Der vertragliche Herausgabeanspruch kann nach dem Tod ihres Ehemanns damit grundsätzlich auch durch die Antragstellerin geltend gemacht werden. Andere Personen, etwa weitere Erben, scheiden als Anspruchsteller aus, da die Antragstellerin testamentarisch eingesetzte Alleinerbin ist (vgl. Bl. 45 d. A.).

b) Der Herausgabeanspruch ist auch nicht durch die nach §§ 133, 157 BGB auslegungsbedürftige Regelung der Ziff. VI. Nr. 1 des Konservierungsvertrags erloschen. Aus dieser Regelung ergibt sich jedenfalls keine vertragliche Verpflichtung des Antragsgegners, das kryokonservierte Material zu vernichten. Aus der Perspektive des übereinstimmenden Parteiwillens und der beiderseitigen Interessenlage ergibt sich der Sinn dieser „Vernichtungsklausel“ aus dem diese wesentlich inhaltlich bestimmenden Verweis auf § 4 I Nr. 3 ESchG. Die Verpflichtung zur Vernichtung durch den Antragsgegner, der diese Klausel standardmäßig verwendet, ist aus dieser für die Frage nach dem Bestehen oder Nichtbestehen des Herausgabeanspruchs der Antragstellerin entscheidungserheblichen Perspektive der Vertragsauslegung vor allem darin begründet, Strafbarkeitsrisiken für die Mitarbeiter des Antragsgegners zu vermeiden, die sich für diese aus § 4 I Nr. 3 ESchG indirekt ergeben können. Das Gericht ist jedoch der Auffassung, dass der Schutzzweck des § 4 I Nr. 3 ESchG in diesem Fall nicht berührt ist.

aa) Schutzzweck des § 4 I Nr. 3 ESchG ist das jeweilige Selbstbestimmungsrecht des Mannes und der Frau im Hinblick auf die Entscheidung, ob sie ein Kind zeugen wollen oder nicht (vgl. OLG Hamburg, NJW 2022, 2344 Rn. 38 auch im Anschluss an BGHSt NJW 2007, 1602 Rn. 12). Dieses verfassungsrechtlich gem. Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG auch als Recht auf reproduktive Autonomie eingeordnete Recht erscheint wegen seines Menschenwürdebezugs besonders gewichtig. Zwar wird vertreten, dass ein typischer Geschehensablauf im Fall einer Strahlentherapie dafür spreche, dass die wie auch hier vor Beginn einer Strahlentherapie getroffene Entscheidung für eine Kryokonservierung von Sperma dazu dient, zu eigenen Lebzeiten noch Vater zu werden (vgl. Löhnig, Anm. OLG Hamburg: Herausgabeanspruch der Lebensgefährtin von kryokonserviertem Keimmaterial des verstorbenen Lebensgefährten, NZFam 2022, 20, 25). Jedoch kommt es hier auf die Umstände des Einzelfalls an.

bb) Soweit es um den Schutz des Grundrechts auf reproduktive Autonomie der Antragstellerin geht, bestehen hier keine Zweifel an ihrer Entscheidung für ein Kind.

cc) Soweit es um den Schutz des Grundrechts auf reproduktive Autonomie des verstorbenen Ehemanns der Antragstellerin nach strafrechtlichen Maßstäben des Rechtsgüterschutzes und der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundrechtschutzes geht, wird dieser im vorliegenden Fall durch die Herausgabe des streitgegenständlichen Kryogewebes von Mitarbeitern des Antragsgegners an die Antragstellerin jedenfalls nicht beeinträchtigt. Um den hohen Anforderungen, die gerade der strafrechtliche Schutz der reproduktiven Autonomie des Mannes durch § 4 I Nr. 3 ESchG stellt, gerecht zu werden, genügt – anders als die Antragstellerin meint – eine mutmaßliche Einwilligung i.S.d. § 630 I S. 4 BGB grundsätzlich nicht.

Vielmehr ist eine ausdrückliche Einwilligung des Mannes erforderlich, die jedoch auch in konkludenter Weise erfolgen kann (vgl. etwa BGH NStZ-RR 2023, 219 für den Fall einer gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung). In überwiegenden Teilen der strafrechtlichen Literatur und Rechtsprechung wird vertreten, dass die Einwilligung vor der Tat ausdrücklich erklärt oder konkludent zum Ausdruck gebracht worden sein muss, nicht jedoch zwingend gegenüber dem Täter (zur sog. „Kundgabetheorie etwa LPK-StGB/Kindhäuser/Hilgendorf, StGB vor § 13 Rn. 172). Demgegenüber wird auch die sog. „Willensrichtungstheorie“ herangezogen. Diese hält eine Zustimmungserklärung für entbehrlich. Es genügt demnach die innerliche Zustimmung des Rechtsgutsträgers vor einer Tathandlung. Bei einer konsequent rechtsgutsorientierten Betrachtungsweise müsse man demnach für die Einwilligung bereits die innere Zustimmung ausreichen lassen (vgl. MüKoStGB/Schlehofer, 5. Aufl., Vor § 32 Rn. 177; Matt/Renzikowski/ Engländer, 2. Aufl., Vor. § 32 Rn. 20).

Insbesondere nach der Kundgabetheorie kommt es hier auf die Beweisfrage an, ob der verstorbene Ehemann der Antragstellerin die Einwilligung zur Verwendung des streitgegenständlichen Kryokonservats nach seinem Tod erklärt hat. Die Differenzen zwischen beiden Ansichten können in diesem Fall dahinstehen, da vorliegend auch nach den strengen strafrechtlichen Maßstäben der „Kundgabetheorie“ davon auszugehen ist, dass der verstorbene Ehemann der Antragstellerin seine Einwilligung in die Verwendung seines kryokonservierten Keimmaterials nach seinem Tod erklärt hat.

Das ergibt sich aus der eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerin, die im Wesentlichen schlüssig und widerspruchsfrei die paarbezogene, individuelle Entwicklung des Kinderwunsches schildert. Sie legt dar, dass es den gemeinsamen Kinderwunsch gab, jedoch der frühe Tod dessen Verwirklichung zu Lebzeiten verhinderte und insoweit der verstorbene Ehemann zuletzt seinen Willen auf ein gemeinsames Kind nach seinem Tod richtete. Weitere Indizien dafür sind das Durchführen der Kryokonservierung der Spermien durch den Ehemann im Angesicht seiner grundsätzlich zu einem früheren Tod führenden Erkrankung und die von ihm gewollten entsprechenden Vertragsverlängerungen des Konservierungsvertrags mit dem Antragsgegner. Diesen Willen belegt insbesondere auch die letzte, von dem Ehemann der Antragstellerin lebzeitig gewollte und über seinen Tod hinauswirkende Vertragsverlängerung vom November 2023, die trotz und selbst nach den nicht wie erhofft wirkenden vorangehenden Behandlungen gewollt war.

dd) Umstritten ist, ob § 4 I Nr. 3 ESchG über den Schutz der reproduktiven Autonomie der Antragstellerin und des verstorbenen Ehemanns hinaus auch das Wohl des noch nicht gezeugten Kindes umfasst. Unter anderem wird vertreten, dass hier das ungeborene bzw. noch nicht gezeugte Kind vor einer Instrumentalisierung durch die Mutter wie auch vor den Folgen der Art und Weise seiner Zeugung in Form der Abstammung von einem Toten und seines damit einhergehenden vaterlosen Aufwachsens zu schützen sei (vgl. OLG München NZFam 2017, 957 Rn. 34, wesentlich im Anschluss an die „Inzest-Entscheidung“ des BVerfG, NJW 2008, 1127 Rn. 29). Dem wird entgegengehalten, dass es wenig überzeugend sei, ein Kind vor seiner Zeugung und damit auch vor seiner sozialen Biographie zu schützen (etwa Biermann, Anm. zu OLG München NZFam 2017 957, 963 f).

Jedenfalls ist in diesem vorliegend zu entscheidenden Fall keine konkrete Kindeswohlgefährdung erkennbar, da es dem Willen beider beteiligten Eltern entspricht, ein Kind bekommen zu wollen. Dabei ist im Hinblick auf weitere Rechtsprechung zu Herausgabeansprüchen von krykonserviertem Keimmaterial eines Mannes auch zu beachten, dass eine Kindeswohlgefährdung beispielsweise verneint wird, wenn eine posthume Übertragung einer vor dem Todeseintritt des Mannes bereits imprägnierten Eizelle erfolgt, was auch nicht strafbar ist (vgl. OLG Rostock MedR 2010, 874 = BeckRS 2010).

ee) Da es an einer rechtswidrigen Haupttat fehlt, scheidet auch eine Behilfehandlung i.S.d. § 27 StGB durch Mitarbeiter des Antragsgegners aus. Die damit einhergehenden Strafbarkeitsrisiken für Mitarbeiter des Antragsgegners, vor denen diese durch Ziff. VI.1. des Krykonservierungsvertrags geschützt werden sollen, bestehen vorliegend nicht. Für die darüber hinaus gehende und insoweit ebenfalls einschlägige Erwägung einer Pflichten-kollision als Rechtfertigungsgrund, die in diesen Fällen nach Ansicht des OLG Hamburg anzunehmen ist (OLG Hamburg NJW 2022, 2344 Rn. 48ff), muss es daher vorliegend nicht zwingend ankommen. Dies gilt umso mehr, als es verfassungsrechtlich zwingend geboten erscheint, dass zur Ausübung einer Handlung, die Ausdruck einer nach Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG verfassungsrechtlich besonders geschützten Selbstbestimmung ist, derjenige auch Hilfe in Anspruch nehmen kann, der diese Handlung realisieren will. Sonst bliebe von einem Recht auf Selbstbestimmung nichts übrig, wenn der selbstbestimmt Entscheidende nicht auch Hilfe zur tatsächlichen Realisierung seiner Entscheidung in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerfG, NJW 2020, 905 Rn. 218 u. 283f zur Verfassungswidrigkeit des § 217 StGB).

  1. Unbegründet ist der Antrag im Hinblick auf die Herausgabe an eine Klinik im unbestimmten europäischen Ausland. Die Eilbedürftigkeit und Gesetzmäßigkeit der vorgesehenen künstlichen Befruchtung ist konkret allein für eine spanische Klinik und für die gesetzlichen Fristen vorgetragen, die in Spanien gelten.

Im Übrigen wird zur Begründung auch auf die Abschrift des Antrages auf Erlass der einstweiligen Verfügung und der eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerin sowie die Stellungnahme des Antragsgegners Bezug genommen.

  1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG, 3 ZPO.