Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – 3x W 65/24 – 17.03.2025

OLG Schleswig - Beschluss vom: 17-03-2025 - Az.: 3x W 65-24

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig-Holstein

Aktenzeichen: 3x W 65/24

Entscheidung vom: 17.03.2025

Zusammenfassung des Sachverhaltes:

Im vorliegenden Fall streiten die Beteiligten um die örtliche Zuständigkeit des Nachlassgerichts für die Erteilung eines Erbscheins nach § 343 FamFG. Der Erblasser, der seit 2012 in Y. wohnte, verstarb am 22.06.2022 in einem Hospiz in X., nachdem er zuvor schwer erkrankt war und aus Krankenhäusern in Y. in das Hospiz nach X. verlegt wurde. Die Verlegung erfolgte auf Wunsch des Erblassers, da seine Eltern und seine Lebensgefährtin in X. lebten. In den Unterlagen zur Hospizaufnahme wurde die psychosoziale Betreuung durch die Eltern in X. als dringend erforderlich angegeben.

Am 06.05.2022 errichtete der Erblasser in X. ein notarielles Testament, in dem er die Beteiligten zu 1 bis 6 als Erben zu gleichen Teilen einsetzte. Am 06.02.2024 beantragte die Beteiligte zu 1 einen Erbschein, der die Beteiligten zu 1 bis 6 als Miterben zu je 1/6 ausweist. Der Antrag wurde beim Nachlassgericht Y. eingereicht, das das Verfahren an das Nachlassgericht X. abgab, welches das Verfahren am 05.03.2024 übernahm.

Der Beteiligte zu 6 bestritt die Zuständigkeit des Nachlassgerichts X. und argumentierte, der Erblasser habe keine Lebensgefährtin in X. gehabt und seine engsten Freunde lebten in Y. Der Aufenthalt im Hospiz sei lediglich krankheitsbedingt und kein freiwilliger Wohnsitzwechsel gewesen. Das Nachlassgericht X. stellte mit Beschluss vom 13.08.2024 fest, dass es zuständig sei, da der Erblasser in seinen letzten Lebenswochen den Schwerpunkt seiner Bindungen in X. bei seinen Eltern hatte und dort psychosoziale Betreuung erhielt. Die Wohnung in Y. wurde zwar erst nach dem Tod des Erblassers aufgelöst, dies stehe der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts in X. jedoch nicht entgegen.

Gegen diesen Beschluss legte der Beteiligte zu 6 Beschwerde ein und wiederholte seine Argumentation, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers weiterhin in Y. gelegen habe. Das Nachlassgericht half der Beschwerde nicht ab und legte sie dem Oberlandesgericht Schleswig-Holstein zur Entscheidung vor.

Zusammenfassung der Urteilsgründe:

Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein wies die Beschwerde des Beteiligten zu 6 als unbegründet zurück. Es stellte fest, dass die Beschwerde zulässig sei, da im Erbscheinsverfahren auch die örtliche Zuständigkeit überprüft werden könne, um Wertungswidersprüche zu vermeiden. Die Entscheidung über die Beschwerde konnte ohne mündliche Verhandlung erfolgen, da kein weiterer Aufklärungsbedarf bestand.

In der Sache bestätigte das Oberlandesgericht die Auffassung des Nachlassgerichts X., dass dieses für die Erteilung des Erbscheins zuständig sei. Maßgeblich sei nach § 343 Abs. 1 FamFG der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts sei im Lichte der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) auszulegen und erfordere eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände, insbesondere der sozialen Bindungen und des Lebensmittelpunkts.

Das Gericht führte aus, dass ein Aufenthalt in einem Hospiz grundsätzlich nicht automatisch einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet, da dieser meist krankheitsbedingt und von kurzer Dauer ist. Im vorliegenden Fall lagen jedoch besondere Umstände vor: Der Erblasser hatte sich bewusst für das Hospiz in X. entschieden, um von seinen Eltern betreut zu werden, und hatte dort seinen sozialen Lebensmittelpunkt in den letzten Lebenswochen. Die Tatsache, dass die Wohnung in Y. nicht aufgelöst wurde, sei nicht entscheidend, da keine Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass der Erblasser eine Rückkehr nach Y. beabsichtigte.

Das Oberlandesgericht folgte der Auffassung, dass der gewöhnliche Aufenthalt in X. begründet war, da der Erblasser dort seine letzten sozialen Bindungen pflegte und die psychosoziale Betreuung durch die Eltern im Vordergrund stand. Die übrigen Voraussetzungen für den Erlass des Erbscheins lagen ebenfalls vor. Die Kostenentscheidung beruhte auf § 84 FamFG, wonach die Kosten eines erfolglosen Rechtsmittels dem Beteiligten auferlegt werden, der es eingelegt hat. Der Geschäftswert wurde auf 100.000,00 € festgesetzt, entsprechend dem im Testament angegebenen Nachlasswert.

Tenor:

1) Die Beschwerde des Beteiligten zu 6 vom 30.09.2024 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgericht – X. vom 13.08.2024 wird zurückgewiesen.
2) Der Beteiligte zu 6 hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3) Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren beträgt 100.000,00 €.

Begründung der Entscheidung:

I. Die Beteiligten streiten sich darum, ob das Nachlassgericht des Amtsgerichts X. für die Erteilung eines Erbscheins nach § 343 FamFG zuständig ist, nachdem der zuletzt in Y. wohnhaft gewesene Erblasser in einem Hospiz in X. verstorben ist.

Der Erblasser wohnte seit 2012 in Y. Die Wohnung wurde in Y. erst nach dem Tod des Erblassers aufgelöst. Der Erblasser war nicht verheiratet und kinderlos. Seine Eltern (die Beteiligten zu 7 und 8) leben in X. Als er schwer erkrankte wurde er zunächst in Krankenhäusern in Y. behandelt und dann am 20.04.2022 in das Hospiz in X. verlegt, wo er am 22.06.2022 verstarb. Die Verlegung erfolgte laut „Erstantrag Hospizpflegebedürftigkeit“ auf Wunsch des Erblassers, da „sowohl seine Eltern auch seine Lebensgefährtin“ in X. lebten. In dem Fragebogen zur stationären Hospizpflegebedürftigkeit heißt es unter dem Punkt „Psychosoziale Betreuung“: Vater [..]. Sodann weiter unter: „familiäre Situation“: Eltern unterstützen, leben in X. und schließlich „dringend psychosoziale Begleitung erforderlich“.

Der Erblasser hatte am 06.05.2022 vor dem Notar Dr. W. in X. ein notarielles Testament errichtet, in dem er die Beteiligten zu 1 bis 6 als Erben zu gleichen Teilen einsetzte.

Am 06.02.2024 beantragte die Beteiligte zu 1 mit notariellem Antrag einen Erbschein, der die Beteiligten zu 1 bis 6 als Miterben zu je 1/6 ausweist. Die Notarin reichte den Antrag beim Amtsgericht – Nachlassgericht – Y. ein, das den Erbscheinsantrag mit formloser Verfügung an das Amtsgericht – Nachlassgericht – X. mit der Bitte um Übernahme abgab. Das Erbscheinsverfahren wurde am 05.03.2024 vom Nachlassgericht X. übernommen.

Im Folgenden stritten sich die Beteiligten darüber, welches der beiden Nachlassgerichte für die Erteilung des Erbscheins zuständig ist. Der Beteiligte zu 6 führte dazu aus, dass der Erblasser keine Lebensgefährtin gehabt habe. Die beiden Freundinnen, zu denen er seit dem Umzug nach Y. den engsten Kontakt gehabt habe, lebten beide in Y. Der Aufenthalt im Hospiz sei nichts weiter als ein durch die Krankheit erzwungener Krankenhausaufenthalt zur Schmerzlinderung gewesen, eine palliativmedizinische Notwendigkeit, aber kein freiwilliger Wohnsitzwechsel.

Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 13.08.2024 die zur Begründung des Antrags vom 06.02.2024 auf Erteilung eines Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Zugleich hat es die Erteilung des Erbscheins bis zur Rechtskraft des Beschlusses zurückgestellt. Zur Begründung heißt es in dem Beschluss: Das Amtsgericht X. sei zuständig. Der letzte gewöhnliche Aufenthalt einer Person sei dort, wo der Schwerpunkt ihrer Bindungen sei und der Daseinsmittelpunkt liege. Diesen Aufenthaltsort habe der Erblasser mit dem Wunsch der Verlegung in das Hospiz in X. begründet. Zwar habe der Erblasser zuvor in Y. gelebt und seine dortige Wohnung sei für ihn weiter vorgehalten worden. Allerdings habe er immerhin fast 2 Monate in X. gelebt. Es sei sein Wunsch und Wille gewesen, während seiner letzten Lebenszeit von seinen Eltern unterstützt zu werden und nicht von seinen Freunden in Y. In seiner letzten Zeit im Hospiz sei die von den Eltern durchgeführte psychosoziale Betreuung für den Erblasser dringend erforderlich gewesen. Zu dieser Zeit habe der Schwerpunkt seiner Bindung bei den Eltern in X. gelegen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beteiligte zu 6 mit seiner form- und fristgemäß eingelegten Beschwerde, „soweit die Zuständigkeit des Amtsgerichts X. angenommen wurde“. Der Beteiligte zu 6 ist unter Wiederholung der von ihm bereits zuvor vorgebrachten Ausführungen weiterhin der Auffassung, dass der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers in Y. gelegen habe.

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie zur Entscheidung dem Oberlandesgericht vorgelegt.

II. Die Beschwerde ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

  1. Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht entgegen, dass der Beteiligte zu 6 sich im Rahmen der Beschwerde nicht inhaltlich gegen den Erbscheinsantrag wendet, sondern lediglich die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts X. rügt. Zwar kann eine Beschwerde gemäß § 65 Abs. 4 FamFG grundsätzlich nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszugs seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. § 65 Abs. 4 FamFG muss im Erbscheinsverfahren indes einschränkend ausgelegt werden. Andernfalls käme es zu einem Wertungswiderspruch zu § 2361 BGB, wonach unrichtige Erbscheine einzuziehen sind. Von Rechtsprechung und Literatur wird angenommen, dass ein Erbschein auch dann unrichtig ist, wenn er von einem örtlich unzuständigen Gericht erlassen wird (OLG Hamm, Beschluss vom 22. Juni 2017 – 15 W 111/17 –, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 21. Mai 2013 – 20 W 170/10 –, juris; Müther in: Dutta/Jacoby/Schwab, FamFG, Kommentar, 4. Auflage 2021, § 65 FamFG Rn. 6.3 jeweils zur Frage der Anwendbarkeit des § 65 im Rahmen des Erbscheinsverfahrens; Herzog in Staudinger zum BGB, Aufl. 2023, § 2361 Rn. 30; Kroiß/Horn, Erbrecht, § 2361 Rn. 6 und 7; Grziwotz in MüKO, 9. Aufl. 2022, § 2361 Rn. 15 zur Frage der Unrichtigkeit des Erbscheins, der durch ein unzuständiges Gericht erlassen wurde).

  2. Über die Beschwerde kann der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil kein weiterer Aufklärungs- und Erörterungsbedarf mehr besteht. Die Durchführung eines Termins durch das Beschwerdegericht ist dann nicht erforderlich. Das gilt auch dann, wenn – wie hier – auch im ersten Rechtszug nicht mündlich verhandelt wurde (Senat, B. v. 14.01.2010 – 3 Wx 92/09, FamRZ 2010, 1178; KG v. 29.06.2010 – 1 W 161/10, ZEV 2010, 524; OLG Düsseldorf v. 29.03.2011 – 3 Wx 263/10, FamRZ 2011, 1980 ff.; Sternal in Sternal, FamFG, 21. Aufl. 2023, § 68 Rn. 73 f. mwN.; Joachim in: Bahrenfuss, FamFG, 3. Aufl. 2017, § 68 FamFG, Rn. 17).

  3. Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Nachlassgericht X. seine örtliche Zuständigkeit angenommen.

a) Diese ergibt sich nicht bereits aus der Abgabe des Erbscheinsverfahrens an das Nachlassgericht X., das das Verfahren übernommen hat. Der formlosen Abgabe/Übernahme kommt – anders als der Verweisung gem. § 3 FamFG – keine Bindungswirkung zu (vgl. Feskorn in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 4 FamFG Rn. 7).

b) Nach § 343 Abs. 1 FamFG ist das Gericht (für die Erteilung eines Erbscheins) zuständig, in dessen Bezirk der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Eine Definition des Begriffs bzw. Kriterien für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts enthält die Vorschrift nicht. Der gewöhnliche Aufenthalt ist von einem „schlichten“ Aufenthalt abzugrenzen, der jegliche tatsächliche Anwesenheit an einem Ort umfasst. Ein solcher „schlichter“ Aufenthalt reicht nicht aus, das Kriterium des gewöhnlichen Aufenthalts zu erfüllen.

aa) Bis zum 16.08.2015 richtete sich die Zuständigkeit nach dem Wohnort des Erblassers. Im Rahmen des Inkrafttretens des IntErbRVG wurde die Zuständigkeitsregelung angepasst. Die Änderung diente dem Ziel, eine weitgehende einheitliche örtliche Zuständigkeit der Gerichte für die Erteilung eines Erbscheins und für die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses nach Kapitel VI der EuErbVO zu gewährleisten. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes ist daher im Lichte der EuErbVO (einheitlich) auszulegen (OLG München Beschl. v. 22. 3. 2017 – 31 AR 47/17, RNotZ 2017, FGPrax 2017, 134). Insoweit sind die Erwägungsgründe 23, 24 der EuErbVO auch im Rahmen der §§ 343, 344 FamFG zur Bestimmung des „gewöhnlichen Aufenthalts“ heranzuziehen (OLG München Beschluss v. 22. 3. 2017 – 31 AR 47/17, a.a.O.). Insoweit ist bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes vorzunehmen. Dabei sind alle relevanten Tatsachen zu berücksichtigen, insbesondere die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe. Maßgeblich ist, wo der Lebensmittelpunkt des Erblassers in familiärer und sozialer Hinsicht liegt. Neben den objektiven Kriterien sind nach der ganz überwiegenden Auffassung auch subjektive Kriterien heranzuziehen. Dabei soll ein nach außen manifestierter (natürlicher) freiwilliger Bleibewillen reichen (vgl. Gierl in Burandt/Rojahn, Erbrecht, 4. Aufl. 2022, § 343 FamFG, Rn. 9 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung), da andernfalls Fragen des erzwungenen oder willenlosen Aufenthalts nicht zufriedenstellend geklärt werden könnten und die Gefahr der Manipulation des materiellen Erbrechts bestünde (OLG München, Beschluss vom 22.06.2022, 31 AR 73/22, FGPrax 2022, 231, Rn. 5 nach juris).

bb) Nach der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur ist dabei keine bestimmte Mindestdauer notwendig, damit aus einem schlichten ein gewöhnlicher Aufenthalt wird (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 12.09.2019, 6 AR 1/19; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 16.03.2021, 1 AR 4/21; Zimmermann, Erbschein- Erbscheinsverfahren – Europäisches Nachlasszeugnis – D. Zuständiges Gericht Rn. 132, aA KG, Beschluss vom 06.10.2020, 1 AR 1020/20 nach juris, das, zumindest wenn der alte Aufenthaltsort nicht aufgegeben wird, den Aufenthalt von einiger Dauer – z.B. 6 Monate – fordert).

cc) Einigkeit besteht, dass der Aufenthalt in einem Krankenhaus, der in der Regel vorübergehender Natur ist, keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. In Rechtsprechung und Literatur ist indes streitig, unter welchen genauen Voraussetzungen die Aufnahme in einem (Sterbe)Hospiz oder ein Pflegeheim einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Dies wird teilweise bereits dann bejaht, wenn der Wechsel dem Willen des Betroffenen entspricht und mit einem Wechsel an den bisherigen Aufenthaltsort nicht gerechnet werden kann (OLG Celle a.a.O; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 09.11.2020, 1 AR 31/20 (SA Z); Sternal in Sternal, FamFG (vormals Keidel) 21. Auflage 2023, § 3 Rn. 10; Rellermeyer in: Dutta/Jacoby/Schwab, FamFG, Kommentar, 4. Auflage 2021, § 343 FamFG Rn. 5). Nach anderer Auffassung wird allein durch die auch willentliche Aufnahme in einem Hospiz kein gewöhnlicher Aufenthalt begründet, auch wenn eine Rückkehr an den bisherigen Aufenthaltsort regelmäßig ausgeschlossen sein wird (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 16.03.2021, 1 AR 4/21 (SA Z); OLG Braunschweig, Beschluss vom 07.02.2022, 9 W 3/ 22, BeckRS 2022, 34523, Rn. 12; Gierl in Burandt/Rojahn, Erbrecht, 4. Aufl. 2022, § 343 FamFG, Rn. 12). Der Aufenthalt im Hospiz, der – entsprechend einer ärztlichen Behandlung in einem Krankenhaus zum Zwecke der Heilung – lediglich dazu dient, bis zum Tod die dort vorhandenen Pflege- und Linderungsmöglichkeiten zu nutzen, reicht danach für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthaltsortes nicht aus, da ein solcher Aufenthalt nicht darauf angelegt ist, soziale Bindungen zu begründen. Der Aufenthalt im Hospiz wird nach dieser Auffassung erst zum gewöhnlichen Aufenthalt, wenn weitere Umstände hinzutreten. Von maßgeblicher Bedeutung können dabei der Aufenthaltswille, die Dauer des Aufenthalts, damit einhergehende oder vorhandene soziale Kontakte und soziale Einbindungen oder die Frage sein, ob die alte Wohnung aufgelöst werden soll. Dabei wird den Umständen im Einzelnen unterschiedliches Gewicht beigemessen. Insbesondere kommt der Frage, ob die Wohnung beibehalten wird, teilweise maßgebliche Bedeutung zu (vgl. Zimmermann, a.a.O. Rn. 135).

dd) Der Senat folgt der Auffassung, dass allein der Wechsel in ein Hospiz nicht geeignet ist, dort den gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen zu begründen, da der Aufenthalt dort – auch wenn er willentlich geschieht und mit einer Rückkehr nicht gerechnet werden kann – in der Regel auf der (palliativ)medizinischen Notwendigkeit beruht, durchschnittlich nur für einen kurzen Zeitraum erfolgt und damit nicht geeignet ist, die erforderliche soziale Einbindung in das Umfeld zu begründen. Wann ein gewöhnlicher Aufenthalt in einem Hospiz begründet wird, ist immer eine Frage des Einzelfalls. Hier liegen besondere Umstände vor, die diese Annahme rechtfertigen. Der Erblasser hat sich ausweislich des vorgelegten Antrages zur stationären Hospizaufnahme bewusst für die Aufnahme in einem Hospiz in X. entschieden, da sowohl „seine Eltern als auch seine Lebenspartnerin in X. leben“ und die dringend erforderliche psychosoziale Begleitung durch den Vater (bzw. die Eltern) erfolgen sollte. Daraus kann – unabhängig von der Frage, ob es diese Lebenspartnerin überhaupt gab – abgeleitet werden, dass der Wechsel nicht nur den äußeren Zwängen der Krankheit geschuldet war, sondern der Erblasser den Ortswechsel nach X. gerade auch im Hinblick auf die sozialen Bindungen (zumindest) zu seinen Eltern und deren Betreuungsleistungen wünschte (vgl. zu einer vergleichbaren Konstellation: Beschluss des OLG München vom 22.06.2022, 31 AR 73/22, Rn. 7 ff. nach juris). Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei X. für den Erblasser nicht um eine gänzlich fremde Stadt, sondern um seinen Geburtsort und den Wohnort seiner Eltern handelt. Dass er zuvor rund 10 Jahre in Y. lebte und seine Wohnung in Y. zu seinen Lebzeiten nicht aufgelöst wurde, steht der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthaltes in X. nicht entgegen. Insoweit teilt der Senat die Auffassung, dass dem Beibehalt der Wohnung (allein) maßgebliche Bedeutung zukommt, nicht. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser davon ausgegangen ist, noch einmal in sein Umfeld in Y. zurückzukehren und deshalb die Wohnung in Y. für ihn weiter vorgehalten wurde. Entscheidend ist immer eine Wertung aller Umstände.

c) Auch die übrigen Voraussetzungen für den Erlass des beantragten Erbscheins liegen vor.

  1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Nach § 84 FamFG soll das Gericht die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels dem Beteiligten auferlegen, der es eingelegt hat.

  2. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren richtet sich nach §§ 61, 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GNotKG. Er richtet sich nach dem Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls. Vom Erblasser herrührende Verbindlichkeiten werden abgezogen. Der Senat orientiert sich bei der Wertfestsetzung an der Angabe des Erblassers in dem notariellen Testament vom 06.05.2022, das er rund 6 Wochen vor seinem Tod errichtet hat. Es ist nicht deshalb von einem anderen Geschäftswert auszugehen, weil sich der Beteiligte zu 6 „nur“ gegen die Zuständigkeit des Nachlassgerichts gewendet hat. Auch durch diese Einwendung stand der Erlass des Erbscheins insgesamt zur Überprüfung.