OLG Düsseldorf – 3 W 21/25 – 24. Februar 2025

OLG Düsseldorf - Beschluss vom 24-02-2025 – 3 W 21-25 | Erbrecht - Testament - Unterschrift des Erblassers - Beweislast

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf

Aktenzeichen: 3 W 21/25

Entscheidung: 24. Februar 2025

Zusammenfassung des Sachverhaltes:

Im vorliegenden Fall streiten zwei Beteiligte um die Erteilung eines Erbscheins nach dem Tod des Erblassers. Die Beteiligte zu 1) ist die Tochter und das einzige Kind des Erblassers und beantragt einen Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweist, gestützt auf die gesetzliche Erbfolge. Die Beteiligte zu 2) ist die frühere Lebensgefährtin des Erblassers und beantragt ebenfalls einen Erbschein, wobei sie sich auf ein handschriftliches Testament vom 5. Mai 2021 beruft. Zwischen den Beteiligten ist insbesondere streitig, ob dieses Testament tatsächlich vom Erblasser eigenhändig geschrieben und unterschrieben wurde.

Das Nachlassgericht Kempen hatte zunächst ein Gutachten eines Schriftsachverständigen eingeholt. Dieses kam zu dem Ergebnis, dass zwar die Unterschrift und der Namenszug im Testament mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vom Erblasser stammen, die restliche Textschrift jedoch nicht prüfbar sei. Mangels Nachweis einer formgültigen Testamentserrichtung wurde die gesetzliche Erbfolge angenommen und die Tochter als Alleinerbin festgestellt. Die Lebensgefährtin legte daraufhin Beschwerde ein und reichte weiteres Vergleichsmaterial für eine Schriftanalyse ein, darunter Auszüge aus dem Terminkalender des Erblassers und eine handschriftliche Erklärung aus dem Jahr 2008.

Das Amtsgericht half der Beschwerde nicht ab und legte die Sache dem Oberlandesgericht Düsseldorf zur Entscheidung vor. Im Beschwerdeverfahren wurde der gesamte Akteninhalt, einschließlich der Nachlass- und Testamentsakten sowie der im Verfahren eingereichten Schriftsätze, berücksichtigt. Die Beteiligte zu 2) konnte durch die vorgelegten Gutachten den Nachweis einer formgültigen Testamentserrichtung im Sinne des § 2247 Abs. 1 BGB nicht allein durch Schriftgutachten führen, da das Vergleichsmaterial für die Textschrift des Testaments nicht ausreichte. Die Unterschrift und der Namenszug wurden jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Erblasser zugeordnet.

Das OLG Düsseldorf würdigte darüber hinaus die Gesamtumstände des Falles. Es stellte fest, dass keine Anhaltspunkte für eine Fälschung oder Manipulation des Testaments vorliegen. Die physikalisch-technische Urkundenprüfung ergab keine Hinweise auf Textfälschung oder Manipulation. Auch der Text und das Schriftbild des Testaments wiesen keine Auffälligkeiten auf, die auf eine fremde Urheberschaft schließen ließen. Die Einwände der Tochter hinsichtlich des Schreibstils und der Testierfähigkeit des Erblassers wurden als unbegründet zurückgewiesen. Ebenso wurde der Vortrag, die Lebensgefährtin habe zunächst kein Interesse am Nachlass gezeigt, als nicht relevant bewertet, da sie zum Zeitpunkt der Äußerungen noch keine Kenntnis vom Testament hatte.

Letztlich ergab die Auslegung des Testaments, dass der Erblasser die Beteiligte zu 2) als Alleinerbin einsetzen wollte, auch wenn im Testament nur die Wohnungen im Mehrfamilienhaus ausdrücklich genannt wurden. Der Immobilienbesitz stellte den wesentlichen Teil des Nachlasses dar, sodass die Zuwendung als Erbeinsetzung zu werten war. Die Tochter konnte keine stichhaltigen Gründe vorbringen, die gegen die Authentizität des Testaments oder die Erbeinsetzung der Lebensgefährtin sprachen.

Zusammenfassung der Urteilsgründe:

Das OLG Düsseldorf hebt in seiner Entscheidung hervor, dass die Beschwerde der Beteiligten zu 2) zulässig und begründet ist. Die zentrale Frage war, ob das handschriftliche Testament vom 5. Mai 2021 formgültig errichtet wurde und damit die gesetzliche Erbfolge verdrängt. Die Beteiligte zu 2) konnte den Nachweis der Echtheit des Testaments nicht allein durch Schriftgutachten führen, da das Vergleichsmaterial für die Textschrift nicht ausreichte. Die Gutachten bestätigten jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit die Echtheit der Unterschrift und des Namenszugs im Testament.

Das Gericht betont, dass für die richterliche Überzeugung keine absolute Gewissheit erforderlich ist, sondern ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit genügt. Die Gesamtwürdigung aller Umstände, insbesondere das Fehlen jeglicher Anhaltspunkte für eine Fälschung oder Manipulation, führte das Gericht zur Überzeugung, dass das Testament in Gänze vom Erblasser stammt. Die physikalisch-technische Urkundenprüfung ergab keine Hinweise auf Manipulationen, und auch das Schriftbild des Testaments war homogen und wies keine Brüche auf.

Das Gericht wies die Einwände der Tochter zurück, wonach der Schreibstil und die Ausdrucksweise nicht zum Erblasser passten. Es stellte klar, dass das Testament für einen juristischen Laien inhaltlich und sprachlich fehlerfrei verfasst sei und keine Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers bestünden. Auch der Vortrag, die Lebensgefährtin habe zunächst kein Interesse am Nachlass gezeigt, wurde als unbeachtlich angesehen, da sie zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis vom Testament hatte.

In der Auslegung des Testaments stellte das Gericht fest, dass der Erblasser die Beteiligte zu 2) als Alleinerbin einsetzen wollte, auch wenn im Testament nur die Wohnungen ausdrücklich genannt wurden. Da der Immobilienbesitz den wesentlichen Teil des Nachlasses ausmachte, war die Zuwendung als Erbeinsetzung zu werten. Die Tochter konnte keine stichhaltigen Gründe gegen die Authentizität des Testaments oder die Erbeinsetzung der Lebensgefährtin vorbringen.

Das Gericht entschied daher, dass die Tatsachen, die zur Begründung des Erbscheinantrags der Beteiligten zu 2) erforderlich sind, festgestellt werden. Der Erbscheinantrag der Tochter wurde zurückgewiesen. Die Kostenentscheidung erfolgte entsprechend der gesetzlichen Regelungen, und die Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen.

Tenor:

I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Kempen vom 16. Dezember 2024 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1) Die Tatsachen, die zur Begründung des Erbscheinantrags der Beteiligten zu 2) vom 6. Januar 2023 erforderlich sind, werden für festgestellt erachtet.

2) Der Erbscheinantrag der Beteiligten zu 1) vom 7. September 2022 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligte zu 2) hat die gerichtlichen Kosten des von ihr gestellten Erbscheinantrags zu tragen. Im Übrigen fallen der Beteiligten zu 1) die gerichtlichen Kosten des amtsgerichtlichen Verfahrens zur Last. Die Beteiligte zu 1) hat überdies der Beteiligten zu 2) die ihr in beiden Instanzen entstanden notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen zu erstatten.

III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

IV. Der Beschwerdewert wird auf 500.000 Euro festgesetzt.

Begründung der Entscheidung:

I. Die Beteiligte zu 1) ist die Tochter und das einzige Kind des Erblassers. Sie begehrt, gestützt auf die Bestimmungen der gesetzlichen Erbfolge, die Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin ausweist. Die Beteiligte zu 2) ist die frühere Lebensgefährtin des Erblassers. Sie tritt dem Begehren entgegen und beantragt ihrerseits die Erteilung eines Erbscheins. Dazu verweist sie auf ein entsprechendes handschriftliches Testament vom 5. Mai 2021) Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob diese letztwillige Verfügung vom Erblasser niedergeschrieben und unterzeichnet worden ist.

Das Amtsgericht hat das Gutachten eines Schriftsachverständigen eingeholt und sodann dem Erbscheinantrag der Beteiligten zu 1) mit einem Feststellungsausspruch nach § 352 e Abs. 1 Satz 1 FamFG stattgegeben sowie den Erbscheinantrag der Beteiligten zu 2) zurückgewiesen. Dem Schriftsachverständigen folgend hat es angenommen, dass zwar die Unterschrift unter das Testament und die dort in Zeile 6 enthaltene Namensniederschrift „H… … B…“ zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vom Erblasser stammen, dass aber die restliche Textschrift nicht prüfbar sei. Aufgrund dessen sei – so das Amtsgericht weiter – eine formgültige Testamentserrichtung nicht nachgewiesen und bestimme sich die Erbfolge nach § 1924 Abs. 1 BGB. Der Erblasser sei folglich von seiner Tochter, der Beteiligten zu 1), als einzig vorhandene Erbin der ersten Ordnung beerbt worden.

Dagegen wendet sich die Beteiligte zu 2) mit ihrer Beschwerde. Sie legt als Vergleichsmaterial für eine Schriftanalyse in Ablichtung weitere Unterlagen vor, nämlich Auszüge aus dem Terminkalender des Erblassers für das Jahr 2021 (Bl. 965 ff. d.A.) und eine handschriftliche Erklärung des Erblassers vom 15. Juni 2008 (Bl. 993 d.A.).

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Nachlassakte 28 VI 178/22 und der Testamentsakte 27 IV 86/22, jeweils Amtsgericht Kempen, sowie der im Beschwerdeverfahren eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.

Der Erblasser ist aufgrund seines Testaments vom 5. Mai 2021 von der Beteiligten zu 2) beerbt worden. Zwar hat die Beteiligte zu 2) alleine durch das vom Amtsgericht zu Recht eingeholte Schriftgutachten den Nachweis einer formgültigen Testamentserrichtung nicht geführt (nachfolgend: A.). Die sonstigen Umstände des Falles vermitteln dem Senat aber die hinreichend sichere Überzeugung, dass der Erblasser seine letztwillige Verfügung vollständig niedergeschrieben und unterzeichnet hat (nachfolgend: B.).

A. Die Beteiligte zu 2) kann den ihr im Sinne einer Feststellungslast obliegenden (vgl. dazu OLG Rostock, Beschluss vom 22)3.2022, 3 W 128/19 m.w.N.; OLG München, Beschluss vom 5.5.2020, 31 Wx 246/19) Nachweis, dass das handschriftliche Testament vom 5. Mai 2021 formgültig errichtet – d.h. vom Erblasser selbst niedergeschrieben und unterschrieben – worden ist (vgl. § 2247 Abs. 1 BGB), durch Schriftgutachten nicht erbringen. Die zur Akte gelangten Schriftgutachten führen – wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat – diesen Nachweis nicht. Anlass für eine ergänzende Begutachtung unter Verwendung der von der Beteiligten zu 2) im Beschwerdeverfahren vorgelegten Ablichtung besteht nicht.

1) Das von der Beteiligten zu 2) zur Akte gereichte Privatgutachten des Schriftsachverständigen A… (Bl. 96 ff. d.A.) führt den erforderlichen Beweis schon deshalb nicht, weil der Gutachter lediglich mit einer leicht überwiegenden Wahrscheinlichkeit attestiert, dass Unterschrift und Text des Testaments vom Erblasser stammen (Seiten 18 ff. des Privatgutachtens, Bl. 35 ff. d.A.). Ausweislich der auf Seite 24 des Privatgutachtens (Bl. 119 d.A.) niedergelegten Begriffserläuterung ist damit eine Wahrscheinlichkeit von circa 75% gemeint. Das reicht – wie keiner näheren Ausführungen bedarf – für den Nachweis der Authentizität des Testaments nicht aus.

2) Die beiden Gutachten des gerichtlich bestellten Schriftsachverständigen S… – nämlich das Ausgangsgutachten vom 6. Mai 2024 (Bl. 654 ff. d.A.) und die 2) Gutachterliche Stellungnahme vom 16. August 2024 (Bl. 789 ff. d.A.) – führen gleichermaßen nicht den Beweis, dass das Testament vom 5. Mai 2021 in Gänze vom Erblasser niedergeschrieben und eigenhändig unterzeichnet worden ist.

a) Der Sachverständige hat auf der Grundlage des vorhandenen aussagekräftigen Schriftmaterials geprüft, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit der Text des streitbefangenen Testaments vom Erblasser geschrieben worden ist. Als Vergleichsmaterial hat er zu Recht die zahlreichen Schriftproben außer Betracht gelassen, die in nahezu vollständig unverbundener Druckschrift geschrieben sind. Denn sie lassen belastbare Rückschlüsse auf den Verfasser des in Schreibschrift (Kurrentschrift) niedergelegten Testaments von vornherein nicht zu. Nicht berücksichtigt hat der Gutachter mit Recht ebenso die in Schreibschrift verfassten Briefe aus dem Jahr 1968 (Bl. 670 – 673 d.A.). Nach den plausiblen Darlegungen des Sachverständigen scheidet dieses Schriftmaterial aus, weil die Texte mehr als 50 Jahre vor dem streitgegenständlichen Testament erstellt worden sind und sich die Handschrift eines Menschen in der Regel in einem solchen Zeitraum (hier: zwischen dem jungen und dem hohen Erwachsenenalter) verändert. Ob und inwieweit der Erblasser im Laufe seines Lebens seine Schreibschrift verändert hat, lässt sich mangels vorhandenen Vergleichsmaterials nicht beurteilen. Infolge dessen kann von den im Jahr 1968 verfassten Schreiben auch nicht auf die Authentizität des Testaments geschlossen werden. Als taugliches Vergleichsmaterial verbleiben damit die Unterschriften, die der Erblasser auf seinem Personalausweis (17.12)2019) und auf einer notariell beglaubigten Vollmacht (25.6.2021) geleistet hat. Ergänzend in seine Betrachtung einbezogen hat der Gutachter zudem die in Druckschrift verfassten Schriftstücke, soweit darin der Vorname „Helmut“ kurrentschriftlich niedergelegt ist oder andere verwertbare schreibschriftliche Elemente enthalten sind (Bilder 5 – 22 des Ergänzungsgutachtens, Bl. 821 – 824 d.A.). Vergleichsmaterial für den zweiten Vornamen des Erblassers „G. “ fehlt vollständig.

b) Auf dieser – den Akteninhalt vollständig erschöpfenden – Grundlage kommt der gerichtliche Sachverständige unter Berücksichtigung der Besonderheiten und eigenwilligen Elemente in der Schrift des Erblassers überzeugend zu dem Ergebnis, dass sowohl die Unterschrift als auch die Namensniederschrift in Zeile 6 des Testaments mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vom Erblasser stammt. Nach der Begriffserläuterung auf Seite 20 des Ergänzungsgutachtens (Bl.808 d.A.) verbirgt sich dahinter eine Authentizitätswahrscheinlichkeit von 90%. Für den Gutachter nicht zu beurteilen war demgegenüber die restliche Textschrift in dem Testament. Denn für die dort verwendeten Worte fehlt – wenn man die in nahezu vollständig unverbundener Druckschrift geschriebenen Schriftstücke außer Betracht lässt – ein aussagekräftiges Vergleichsmaterial, so dass die Urheberschaft dieses Textes gutachtlich nicht beurteilt werden konnte.

Mit dem uneingeschränkt nachvollziehbar und überzeugend begründeten Ergebnis des gerichtlich eingeholten Gutachtens steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Erblasser das Testament vom 5. Mai 2021 unterschrieben und überdies seinen Namen „H… B…“ in Zeile 6 des Testaments eigenhändig geschrieben hat. Das Schriftgutachten des Sachverständigen S… führt demgegenüber nicht den Beweis, dass auch der sonstige Testamentstext vom Erblasser stammt.

3) Eine ergänzende Begutachtung ist nicht angezeigt. Die Beteiligte zu 2) hat im Beschwerdeverfahren weitere Schriftproben vorgelegt. Es handelt sich um handschriftliche Einträge, die der Erblasser in seinen Terminkalender für das Jahr 2021 vorgenommen hat (Anlage zum Schreiben vom 14.1)2025, Bl. 964 ff. d.A.), sowie um eine aus vier Sätzen bestehende handschriftlich verfasste Erklärung des Erblassers vom 15. Juni 2008 (Anlage 3 zur Beschwerdeschrift, Bl.993 d.A.). Eine Begutachtung dieser Unterlagen kann unterbleiben, weil sie die Authentizität des Testamentstextes nicht klären kann. Abgesehen davon, dass die Schriftstücke nur in Ablichtung vorliegen, sind alle Textpassagen in einer nahezu unverbundenen Druckschrift geschrieben. Von daher scheiden sie als taugliches Vergleichsmaterial für das in Schreibschrift verfasste Testament aus. Alleine die Unterschrift unter das Schreiben vom 15. Juni 2008 stellt eine brauchbare Schriftprobe dar. Indes ist nicht zu erkennen, inwieweit das Schriftstück eine größere Aussagekraft besitzen soll als die vom Sachverständigen S… bereits berücksichtigten Unterschriften des Erblassers auf seinem Personalausweis und auf einer notariell beglaubigten Vollmacht, zumal beide Schriftstücke aus deutlich jüngerer Zeit vor Testamentserrichtung stammen.

B. Mit dem dargestellten gutachtlichen Befund ist die Frage nach der Authentizität des Testaments vom 5. Mai 2021 allerdings nicht abschließend zu beantworten. Gemäß § 37 Abs. 1 FamFG hat das Gericht der Sachentscheidung – und demzufolge auch seiner Überzeugungsbildung – den gesamten Verfahrensstoff zugrunde zu legen. Eine in diesem Sinne umfassende Würdigung des gesamten Streitstoffs hat das Amtsgericht unterlassen. Sie vermittelt dem Senat ohne vernünftigen Zweifel die Gewissheit, dass das in Rede stehende handschriftliche Testament echt ist und in Gänze vom Erblasser stammt.

1) Wie das Amtsgericht zutreffend angenommen hat, sind an den Beweis einer Tatsache im Prozess keine übertrieben strengen Anforderungen zu stellen. Zum Nachweis ist zwar die volle richterliche Überzeugung erforderlich. Diese verlangt aber keine absolute Gewissheit. Für sie reicht vielmehr ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Dementsprechend stehen einem Beweis bloß theoretisch denkbare, aber im konkreten Fall praktisch nicht in Betracht kommende abweichende Geschehensabläufe nicht entgegen. Das gilt auch in Verfahren, in denen – wie vorliegend – der Grundsatz der Amtsermittlung gilt (BGH NJW 1990, 2312).

2) Mit diesem Grad an Wahrscheinlichkeit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Testamentstext vollumfänglich vom Erblasser niedergeschrieben worden ist.

Stimmen – wie durch das gerichtlich eingeholte Schriftgutachten nachgewiesen ist – sowohl die Unterschrift als auch der Namenszug „H..… B…“ im Fließtext des Testaments vom Erblasser, und fehlen konkrete Anhaltspunkte, dass der übrige Testamentstext von einem Dritten niedergeschrieben worden sein könnte, ist bei einer lebensnahen und verständigen Würdigung von der Authentizität des Testaments auszugehen. So liegt der Fall hier. Nichts spricht für die Annahme, dass zwar die Unterschrift und der Namenszug „H… B…“ vom Erblasser stammen, der restliche Text des Testaments aber von einer dritten Person niedergeschrieben worden ist.

a) Das vom Amtsgericht eingeholte Schriftgutachten begründet keinerlei Zweifel an einer Urheberschaft des Erblassers. Es lässt die Frage, wer Urheber des übrigen Testamentstextes ist, ausdrücklich offen. Der Sachverständige hat in seiner 2) Gutachterlichen Stellungnahme vom 16. August 2024 (dort Seite 26 f., Bl. 814 f. d.A.) betont, dass sich die Frage, wer Urheber des restlichen Testamentstextes ist, mangels eines vorhandenen aussagekräftigen Vergleichsmaterials schriftsachverständig nicht beurteilen lässt. Das belässt die uneingeschränkte Möglichkeit, dass der gesamte Fließtext des Testaments vom Erblasser niedergeschrieben worden ist.

b) Hinweise auf eine Manipulationen am Text des Testaments hat der Sachverständige bei der von ihm durchgeführten physikalisch-technischen Urkundenprüfung ausgeschlossen. Nach seinen Feststellungen (Seite 11 ff. der 2) Gutachterlichen Stellungnahme vom 16.8.2024, Bl. 799 ff. d.A.) haben weder die beiderseitige Streiflichtuntersuchung noch die beiderseitige Durchlichtuntersuchung und die mikroskopische Analyse des Strich- und Druckverlaufs zu einem Befund geführt, der auf eine Textfälschung oder Manipulation des Testamentstextes hinweisen könnte. In keiner der begutachteten Schreibleistungen des Erblassers sind – so führt der Sachverständige aus – Hinweise enthalten, die bei einer vorlagenorientierten Nachahmung zu erwarten wären. Ebenso wenig hat der Gutachter bei der strahlungstechnischen Untersuchung des verwendeten Schreibmittels Besonderheiten festgestellt. Er hat im Gegenteil Hinweise auf inhaltliche Veränderungen des Textes oder andere Merkmalsausprägungen, die bei einer Manipulation des Textes zu erwarten sind, verneint und ausgeführt, dass das Schreibmittel im gesamten Text des Testaments homogen und ohne Auffälligkeiten eingesetzt worden ist. Das beweise zwar – so der Gutachter weiter – nicht ein Niederschreiben des gesamten Textes in einem Zuge; umgekehrt seien aber auch keinerlei Hinweise dafür vorhanden, dass der Testamentstext in mehreren Schritten geschrieben worden sei (Seite 15 der 2) Gutachterlichen Stellungnahme vom 16.8.2024, Bl. 803 d.A.). Auch die weitere Urkundenuntersuchung des Testaments ist ohne Befund geblieben. Technische Manipulationsversuche schließt der Sachverständige ebenso aus wie eine vorlagenorientierte Fälschung des Testaments (Seite 16 der 2) Gutachterlichen Stellungnahme vom 16.8.2024, Bl. 804 d.A.).

c) Hinweise auf eine Fälschung des Testamentstextes ergeben sich gleichermaßen nicht aus dem Text oder dem Schriftbild des Testaments. Wie der Sachverständige in seiner 2) Gutachterlichen Stellungnahme (dort Seite 27, Bl. 815 d.A.) nachvollziehbar und zutreffend feststellt, fügt sich der nachweislich vom Erblasser stammende Namenszug „Helmut … Becker“ im Fließtext des Testaments in jeder Hinsicht nahtlos in die weitere Textschrift ein. Es sind weder inhaltlich noch im Schriftbild des Textes irgendwelche Brüche, Lücken oder andere Auffälligkeiten vorhanden, die auf die Schreibleistung einer dritten Person deuten könnten. Das gilt namentlich für die Textpassage zur Erbeinsetzung der Beteiligten zu 2), die lautet:

„Ich, H… G. B…, geboren am … setze meine L. S… B…, geboren am … als Erbe in Höhe von Euro Vierhundertausend … ein“

Der inhaltlich wie schriftbildlich homogene Text legt es bei verständiger Betrachtung nahe, dass die gesamte letztwillige Verfügung vom Erblasser niedergeschrieben worden ist.

d) Entgegen der Ansicht der Beteiligten zu 1) bietet der im Testament sichtbare Schreibstil keinen Anlass, an der Urheberschaft des Erblassers zu zweifeln. Abgesehen davon, dass schon der Einwand als solcher, Ausdrucksweise, Grammatik und Orthographie würden nicht den vom Erblasser zu seinen Lebzeiten gepflegten Standards entsprechen, inhaltsleer und nichtssagend ist, entbehrt die geäußerte Kritik auch jeder Berechtigung. Das Testament ist für einen juristischen Laien inhaltlich und sprachlich fehlerfrei verfasst und begründet nicht ansatzweise nachvollziehbare Zweifel daran, dass das Testament vom Erblasser stammt. Ebenso wenig bietet der Text des Testaments Anlass, an der Testierfähigkeit des Erblassers zu zweifeln. Das dazu vorgetragene Schlagwort, der Erblasser habe seit sie (die Beteiligte zu 1)) denken könne, unter „Alkoholismus gelitten“, ist substanzlos und der zugrunde liegende Sachverhalt daher nicht aufklärungsbedürftig.

e) Ohne Aussagekraft ist ebenso der Sachvortrag der Beteiligten zu 1), die Beteiligte zu 2) habe ihr gegenüber noch im Januar und Februar 2022 geäußert

„Das Haus ist Dein`s. Ich will damit nichts mehr zu tun haben. Das ist mir zu stressig. Ich habe das (verwaltet) für deinen Vater getan, aber Du bist nicht meine Familie“,

bevor sie im März 2022 das streitbefangene Testament „präsentiert“ habe.

Die wiedergegebene Äußerung erklärt sich zwanglos und mit einem vollkommen unverdächtigen Inhalt, wenn die Beteiligte zu 2) seinerzeit von dem Inhalt des Testaments noch keine Kenntnis hatte. Davon ist nach dem Sach- und Streitstrand auszugehen. Aus der Testamentsakte ergibt sich, dass die Beteiligte zu 2) das Testament am 10. Februar 2022 dem zuständigen Amtsgericht Kempen zugeleitet hat. Dass die zitierten Äußerungen der Beteiligten zu 1) gegenüber in Kenntnis des Testaments erfolgt sind, behauptet diese selbst nicht.

f) Letzte Gewissheit von der Authentizität des Testaments vermittelt dem Senat die Tatsache, dass im gesamten Verfahrensverlauf kein einziger konkreter Anhaltspunkt für die Urheberschaft eines Dritten zutage getreten ist. Es ist nicht ansatzweise erkennbar, welche dritte Person bei welcher Gelegenheit aus welchem Motiv heraus welchen Teil des streitbefangenen Testaments geschrieben haben soll. Betrachtet man die Dinge lebensnah, kann das Testament nur bei der Person des eingesetzten Alleinerben von dritter Seite ergänzt worden sein. Für eine Vervollständigung der anderen Regelungspunkte des Testaments – d.h. bei der Aufhebung aller früheren letztwilligen Anordnungen des Erblassers und bei der Konkretisierung des zum Nachlass gehörenden Immobilienbesitzes – fehlt von vornherein jedwedes sinnvolle Motiv. Soweit es um die Erbenbenennung geht, kommt wiederum nur die testamentarisch begünstigte Beteiligte zu 2) als diejenige Person in Betracht, die das Testament zu eigenen Gunsten verändert haben könnte. Das setzt aber voraus, dass der Erblasser sein Testament vom 5. Mai 2021 bei der Bestimmung des Erben unvollständig verfasst hat, sodass es von dritter Seite eigenmächtig ergänzt werden konnte. Dafür fehlt jedweder Anhaltspunkt. Es liegen auch keinerlei Umstände vor, die eine Erbeinsetzung der Beteiligten zu 2) durch den Erblasser fraglich erscheinen lassen könnten. Es liegt bei einer lebensnahen Betrachtung nahe, dass der Erblasser die Beteiligte zu 2) als seine Lebensgefährtin und ihm naherstehende Person testamentarisch bedacht hat. Gesichtspunkte, die dem entgegenstehen könnten, zeigt die Beteiligte zu 1) nicht auf und sie sind auch ansonsten nicht ansatzweise ersichtlich.

C. Der Erblasser hat die Beteiligte zu 2) zu seiner testamentarischen Alleinerbin berufen, auch wenn er nach dem Wortlaut des Testaments als sein Vermögen alleine die Wohnungen im Mehrfamilienhaus … in … aufführt.

1) Gibt der Wortlaut der testamentarischen Verfügung keinen hinreichend klaren Aufschluss über den letzten Willen des Erblassers, kann sich eine Erbeinsetzung auch daraus ergeben, dass der Erblasser den Bedachten einzelne Gegenstände oder einzelne Gruppen seines Vermögens zugewandt hat. Zwar ist die testamentarische Zuwendung bestimmter Gegenstände oder bestimmter Gruppen von Gegenständen gemäß § 2087 Abs. 2 BGB im Zweifel als Vermächtnisanordnung und nicht als Erbeinsetzung anzusehen. Diese Auslegungsregel greift jedoch nicht ein, wenn ein anderer Wille des Erblassers festgestellt werden kann. Die Auslegung, für die der gesamte Inhalt der letztwilligen Verfügung einschließlich aller Nebenumstände zu würdigen ist, kann im Einzelfall dazu führen, dass nur scheinbar die Zuwendung einzelner Gegenstände vorliegt, der Erblasser indessen mit den einzelnen aufgeführten Gegenständen einen Bruchteil seines Vermögens, eine Vermögensgruppe oder sogar sein ganzes Vermögen zuwenden wollte (BGH, FamRZ 1972, 561/563; BayObLG, Beschluss vom 7.6.1994, 1 Z BR 69/93, zustimmend zitiert in BGH, Urteil vom 16.10.1996, IV ZR 349/95). Hat der Erblasser durch das Testament praktisch sein gesamtes Vermögen nach Einzelgegenständen oder Gruppen von Gegenständen (z.B. Geldvermögen, Immobilienbesitz, Schmuck) unter den bedachten Personen und Institutionen aufgeteilt, ist in der Regel anzunehmen, dass eine Erbeinsetzung gewollt ist. Denn es kann nicht unterstellt werden, dass der Erblasser überhaupt keinen Erben berufen will (BGH DNotZ 1972, 500; BayObLG, Beschluss vom 7.6.1994, 1 Z BR 69/93; BayObLG FamRZ 1992, 862/864).

2) So liegt der Fall auch hier. Der Erblasser hat die Beteiligte zu 2) als „Erbe … an (seinem) Vermögen“ berufen und in diesem Zusammenhang als sein Vermögen die Wohnungen im Mehrfamilienhaus „… in …“ genannt. Diese Einschätzung des Erblassers, dass sein Vermögen im Wesentlichen aus den Eigentumswohnungen besteht, entspricht den Tatsachen. Nach den Feststellungen des gerichtlich bestellten Nachlassverwalters … in seinem Bericht vom 13. März 2024 (Bl. 598 ff. d.A.), deren Richtigkeit die amtierende Nachlassverwalterin … dem Senat gegenüber am 20. Februar 2025 bestätigt hat, macht der Immobilienbesitz des Erblassers (geschätzter Wert von 850.000 Euro abzüglich Darlehensverbindlichkeiten i.H.v. rund 400.000 Euro) gegenüber dem Schließfachinhalt von rund 3.000 Euro und einem Kontoguthaben von rund 60.000 Euro den weit überwiegenden Nachlasswert aus. Auch die zwischenzeitlich bekannt gewordenen Wald- und Moorgrundstücke des Erblassers fallen nach Auskunft der Nachlassverwalterin Jung betragsmäßig nicht ins Gewicht. Die testamentarische Berufung der Beteiligten zu 2) zur Erbin der Wohnungen des Erblassers in D. ist rechtlich als Alleinerbenbestellung auszulegen.

III.

1) Eine Kostenentscheidung für die Gerichtskosten zweiter Instanz ist nicht zu treffen, weil sich die Pflicht zur Tragung von Gerichtskosten bereits aus dem Gesetz ergibt. Die erfolgreiche Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist nach §§ 25 Abs. 1, 22 Abs. 1 GNotKG gerichtskostenfrei. Die Beteiligte zu 2) hat gemäß § 22 Abs. 1 GNotKG allerdings die gerichtlichen Kosten ihres eigenen Erbscheinantrags zu tragen.

Der Beteiligten zu 1) fallen als unterlegene Partei gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG die gerichtlichen Kosten des amtsgerichtlichen Verfahrens einschließlich der Kosten der vom Amtsgericht durchgeführten Beweisaufnahme zur Last. Die Beteiligte zu 1) hat darüber hinaus der Beteiligten zu 2) die ihr in beiden Instanzen entstandenen notwendigen Aufwendungen zu erstatten.

2) Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG liegen nicht vor, weil die entscheidungserheblichen Rechtsfragen höchstrichterlich geklärt sind.

3) Der Beschwerdewert entspricht gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 GNotKG dem geschätzten Nachlasswert im Zeitpunkt des Erbfalles unter Abzug der vom Erblasser herrührenden und nachgewiesenen Verbindlichkeiten.