Fristlose Kündigung: Falsche Dokumentation der Arbeitszeit kann fristlose Kündigung rechtfertigen

Arbeitsrecht: Kündigung Arbeitszeit Arbeitszeitbetrug | Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg - 14.10.2016 - 2 Sa 985/16 | Rechtsanwalt für Arbeitsrecht | Kanzlei Balg und Willerscheid - Köln Nippes

Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 14.10.2016

Aktenzeichen: 2 Sa 985/16

Kurze Zusammenfassung der Entscheidung:

Verstößt ein Arbeitnehmer gegen seine Verpflichtung, seine Arbeitszeiten korrekt aufzuzeichnen, kann dies eine fristlose Kündigung rechtfertigen.
Arbeitnehmer sind verpflichtet, ihre Arbeitszeiten korrekt zu erfassen. Der Arbeitgeber ist nur zur Zahlung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit verpflichtet. Täuscht ein Arbeitnehmer den Arbeitgeber über den tatsächlichen Umfang der geleisteten Arbeitszeit durch eine falsche Dokumentation, um auf diese Weise Gehalt für nicht geleistete Arbeitszeiten zu erhalten, begeht er einen Arbeitszeitbetrug.
Dies ist an sich, ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung im Sinne des § 626 BGB. Voraussetzung ist allerdings, dass der Arbeitnehmer über den Umfang der Arbeitszeiten vorsätzlich täuschen will. Dies ist z.B. bei dem vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr oder bei der wissentlichen und vorsätzlichen falschen Dokumentation der Arbeitszeiten der Fall.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat in dem Streitfall das Vorliegen eines wichtigen Grundes bejaht und die fristlose Kündigung eines Pharmareferenten wegen Arbeitszeitbetruges bestätigt.
Der Pharmareferent hatte tatsächlich nicht in dem von ihm dokumentierten Umfang gearbeitet. Ein Privatdetektiv hatte ermittelt, dass der Pharmareferent an einem Tag statt der dokumentierten 10 Stunden nur 7 Stunden gearbeitet hat. Am Folgetag hatte er überhaupt nicht gearbeitet, aber 7 Besuche bei Ärzten aufgeschrieben. Der Arbeitgeber sprach daraufhin die fristlose Kündigung aus.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hielt die Kündigung für wirksam. Wegen der falschen Dokumentation der Arbeitszeiten liege ein Grund für eine außerordentliche Kündigung gem. § 626 BGB vor. Der Arbeitnehmer habe gegen seine Verpflichtung zur korrekten Erfassung seiner Arbeitszeiten verstoßen und dadurch in eklatanter Weise seine gegenüber dem Arbeitgeber bestehende Verpflichtung zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs.2 BGB verletzt und einen schweren Vertrauensbruch begangen.

(Kündigung Arbeitszeit Arbeitszeitbetrug)

Tenor:

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom
13.01.2016 – 14 Ca 6324/15 – wird auf seine Kosten bei einem Streitwert von 17.370 Euro in der zweiten Instanz zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.

(Kündigung Arbeitszeit Arbeitszeitbetrug)

Entscheidungsgründe:

Die Parteien streiten in der II. Instanz um die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch eine außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 17.04.2015 sowie eine hilfsweise ordentliche hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 27.04.2016 wegen einer behaupteten Falschdokumentation von Arbeitszeiten an den Tagen 05. und 06. Februar 2015. Am 05.02.2015 habe der als Pharmareferent tätige Kläger eine Abwesenheitszeit für die Besuchstätigkeit bei Ärzten von 10 Stunden und 5 Minuten dokumentiert, während seine tatsächliche Abwesenheitszeit lediglich 6 Stunden und 45 Minuten betragen habe. Die unrichtige Dokumentation bewirke eine Erhöhung des Spesensatzes für diesen Tag von 4 Euro auf 12,50 Euro. Am 06.02.2015 habe der Kläger unstreitig keine Arztpraxis aufgesucht, dennoch unter Angabe bestimmter Ärzte und Medikamentenmusterabgaben eine Abwesenheitszeit von 5 Stunden und 55 Minuten mit Spesenrelevanz angegeben. Der Kläger hat zu seiner Rechtfertigung im Rahmen der vor dem Kündigungsausspruch erfolgten Verdachtsanhörung gegenüber der Beklagten nach vorheriger anwaltlicher Beratung Folgendes angegeben:

„…
5. Was den 06.02.2015 anbelangt, kann er derzeit keine Angaben machen.
6. Der Verdacht, Herr W. hätte seine arbeitsvertraglichen Pflichten schwerwiegend vorsätzlich verletzt, ist aus unserer Sicht so nicht begründet. Der Firma K. ist auch kein Schaden entstanden.
Mein Mandant hat für den 06.02.2015 sieben Arztbesuche eingetragen.
Das sind Praxen, die er in der Tat besucht hat, allerdings kann es sein, dass es nicht am 06.02.2015 war. Im Außendienst ist es seit Jahren gängige Praxis, dass man sich sozusagen ein Polster zugelegt hat von Musteranforderungen, die man einsetzen kann für Tage, an denen nicht die erwartete Besuchsanzahl erreicht wird.
Herr W. gibt ein Beispiel:
An einem beliebigen Tag besucht er in Bamberg 6, 7 oder 8 Arztpraxen.
Er stellt fest, dass sich in der Nähe der letzten Praxis ein weiterer Arzt befindet, den er aufsucht. Da er sein Soll an diesem Tag aber bereits erfüllt hat, nimmt er diesen Arztbesuch nicht mit in die Dokumentation auf, lässt sich aber gleichwohl die Musteranforderung unterschreiben und hebt sich diese für einen anderen Tag auf, an dem er – aus welchen Gründen auch immer – die erwartete Besuchszahl nicht erreicht. Damit steht aber fest, dass der Arzt besucht wurde.
Eine weitere Überlegung hat meinen Mandanten dazu veranlasst, die zusätzlichen Besuche nicht an den realen Tagen zu dokumentieren, und zwar folgende:
Hätte man im Unternehmen festgestellt, dass er 10, 12 oder mehr Besuche täglich absolviert, hätte sich nach aller Erfahrung das Soll für ihn und seine Kollegen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erhöht – jedenfalls ist diese Befürchtung nach der Lebenserfahrung durchaus berechtigt. Die jetzt schon bestehende enorme Belastung, unter der viele Außendienstler leiden, wäre weiter gestiegen. Herrn W. ist bewusst, dass diese Erklärung seiner Motivation Ihnen möglicherweise seltsam vorkommt, jedoch ist sie nun mal Fakt….“

(vergl. dazu das Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers an die Beklagte vom 10.04.2015, Anlage B 19, Seite 4 f., Bl. 202 d. A.).
Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 13.01.2016 der Klage nur hinsichtlich der Erteilung eines Zeugnisses stattgegeben, im Übrigen die Klage abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass bereits die außerordentliche Kündigung vom 17.04.2015 das Arbeitsverhältnis beendet habe. Denn der Kläger habe unstreitig an den beiden Tagen 05. und 06.02.2015 seine Besuchstätigkeiten unrichtig dokumentiert, woraus sich höhere Spesen für ihn ergeben hätten. Soweit diese Erkenntnis aus Beobachtungsberichten einer Detektei (vergl. dazu den Bericht der Detektei Anlage 6, Bl. 144 ff. d. A.) stammten und der Kläger diese deshalb für nicht verwertbar hielte, könne die Kammer sich dem nicht anschließen. Die Frage der Verwertbarkeit stelle sich nur im Rahmen einer Beweiserhebung. Die von der Beklagten ermittelten und in den Rechtsstreit eingeführten Tatsachen seien jedoch nicht beweisbedürftig. Soweit der Kläger ins Feld führe, die unrichtigen Angaben wären versehentlich erfolgt, handele es sich auch nach Auffassung der Kammer um eine Schutzbehauptung. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass an den Angaben des Klägers gegenüber der Beklagten über die Besuchstätigkeiten am 05. und 06.02.2015 so gut wie gar nichts stimme, weder der Fahrtantritt noch der Zeitpunkt der Rückkehr. Des weiteren seien Ärzte als Kundenbesuche angegeben worden, die an den jeweiligen Tagen nicht nur nicht besucht worden seien, sondern – so im Fall des 05.02.2015 – in Städten residierten, die an diesem Tag vom Kläger gar nicht aufgesucht worden seien. Verschärfend komme hinzu, dass der Kläger die Art und Weise der Dokumentation der Kundenbesuche offenbar nach Belieben dokumentiert habe, je nachdem, ob er an bestimmten Tagen bereits genug Besuche verrichtet gehabt hätte oder für bestimmte Tage noch Nachweise für weitere Besuchstätigkeiten benötigt hätte, wofür er dann bereits an anderen Tagen vorgenommene Besuche eingesetzt habe. Insoweit muss vom Vorliegen von einem dringenden Verdacht der Tathandlung eines Spesenbetruges ausgegangen werden.
Soweit der Kläger demgegenüber anführe, die Beklagte befinde sich in einer Motivlage, nach welcher eine Trennung vom Kläger ihr ganz gelegen käme, vermöge dies den festgestellten Kündigungsgrund nicht zu entkräften. Gerade der Umstand, dass die Beklagte im Bezug auf ihre Außendienstmitarbeiter in der Regel kaum Kontrollmöglichkeiten hätte oder solche wahrnehme, müsse sie auf eine redliche Arbeitsausführung durch diese Arbeitnehmer besonders hohen Wert legen. Infolgedessen sehe die Kammer das Vertrauensverhältnis vorliegend als irreparabel beschädigt an. Insoweit könne nicht angenommen werden, dass es künftig zu einer störungsfreien und vor allem vertrauensvollen Zusammenarbeit der Parteien des Arbeitsverhältnis kommen könne. Insoweit sei der Beklagten auch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zuzumuten.
Im Rahmen der Interessenabwägung sei zu Gunsten des Klägers allein dessen Betriebszugehörigkeit vom Rund 12 Jahren sowie der Sozialstatus mit 2 Kindern zu berücksichtigen. Das Beschäftigungsinteresse sei gleichwohl im Ergebnis nicht höher zu bewerten als das gegenläufige Interesse der Beklagten an sofortiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Grundlage des zerstörten Vertrauensverhältnisses.
Die Beklagte habe auch die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht versäumt, denn mit Zugang der außerordentlichen Kündigung am 17.04.2015 sei ein Zeitraum von 2 Wochen nach Bekanntwerden der kündigungsrelevanten Umstände noch nicht verstrichen gewesen. Die Ermittlung der Beklagten zum Kündigungssachverhalt seien frühestens mit Kenntnisnahme der Stellungnahme des Klägers vom 10.04.2015 abgeschlossen gewesen.
Die vom Kläger anfänglich gerügte Betriebsratsanhörung gem. § 2 BetrVG habe nach den hier erfolgten Darlegungen vorgelegten Unterlagen der Beklagten keinen Erfolg. Dem Betriebsrat seien alle wesentlichen Umstände des Kündigungssachverhalt am 13.04.2015 ordentlich mitgeteilt worden. Zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs sei das Anhörungsverfahren durch die Stellungnahme des Betriebsrats vom 15.04.2015 zudem auch abgeschlossen gewesen.
Weitere Unwirksamkeitsgründe waren nicht zu prüfen. Aufgrund des Unterliegens des Klägers bereits mit der außerordentlichen Kündigung sei die Kündigungsschutzklage auch bezüglich der hilfsweisen ordentlichen Kündigung abzuweisen. Wegen der weiteren konkreten Begründung des Arbeitsgerichts Berlin und des Vortrags der Parteien erster Instanz wird auf das erstinstanzliche Urteil vom 13.01.2016 (Bl. 454-472 d. A.) verwiesen.
Gegen dieses ihm am 16.06.2016 zugestellte Urteil richtet sich die beim Landesarbeitsgericht Berlin Brandenburg am 15.06.2016 eingegangene und am 31.08.2016 nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 31.08.2016 begründete Berufung des Klägers.
Er meint, dass die Beobachtungsberichte der Detektei nicht hätten verwertet werden dürfen, weil darin eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers in Gestalt seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung läge. Entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die am 05.02. und 06.02. 2015 dokumentierten Berichte unstreitig falsch dokumentiert worden seien. Er sei sich nicht bewusst, Zeiten und Besuche falsch dokumentiert zu haben. Er habe es im Bewusstsein der prozessualen Wahrheitspflicht aber auch nicht für jeden einzelnen Fall komplett ausschließen können, wie z. B. sein Eintrag für den 05.02.2015 7:00 Uhr Abfahrtszeit. Da er im Februar seine Tochter tatsächlich das ein oder andere mal in die Kita gebracht hätte, aber nun nicht mehr genau wüsste wann, habe er in Ansehung der prozessualen Wahrheitspflicht die Behauptung der Beklagten nicht einfach bestreiten wollen. Ein Bestreiten mit Nichtwissen sei für den Kläger in diesem Punkt per se nicht in Betracht gekommen.
Die Beklagte habe auch die 2 Wochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Sie habe für sich genommen den Kündigungsentschluss bereits mit der Vorlage des Observationsberichtes der Detektive gefasst bzw. mit Abschluss des Abgleichs zwischen diesen Erkenntnissen und den vorangegangenen Besuchsberichten des Klägers. Wie der Kläger im Übrigen erfahren habe, habe der Regionalleiter im Januar 2014 schon den Arzt Dr. Mü. in Bamberg aufgesucht und diesen unverblümt gefragt, ob er nicht dabei helfen könne, einen Kündigungsgrund gegen den Kläger zu finden.
Der Zeuge habe sich empört dagegen verwahrt.
Dem Kläger sei bewusst, dass dieser Umstand nichts mit der Einhaltung der 2 Wochenfrist zu tun habe, die Schilderung solle aber verdeutlichen, welche Anstrengungen die Beklagte unternommen hätte, um den Kläger loszuwerden. Jedenfalls sei sie spätestens zu Beginn des Jahres 2015 dazu bereits entschlossen gewesen. Auslöser für den Wunsch, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu beenden, sei nicht der Detektivbericht, sondern die Tatsache gewesen, dass der Kläger, wie bereits erstinstanzlich vorgetragen, aus Sicht der Beklagten nicht in das Unternehmen gepasst habe.
Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 13.01.2016 – 14 Ca 6324/15 abzuändern und
a) festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten zu 1) vom 17.04.2015, zugegangen am selben Tag, nicht aufgelöst worden sei
b) festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 27.04.2015, zugegangen am 28.04.2015, aufgelöst worden sei;
2. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, im Falle des Obsiegens den Kläger zu den im Arbeitsvertrag vom 28.02.2003 geregelten und zuletzt geltenden Arbeitsbedingungen als Außendienstmitarbeiter bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten – die Beklagte zu 2) ist vom Kläger während des Berufungsverfahrens wegen eines den Kläger betreffenden Betriebsübergangs verklagt worden – verteidigen das erstinstanzliche Urteil.
Nach wie vor sei unstreitig, dass der Kläger am 05.02.2015 Besuche in N dokumentiert habe, tatsächlich jedoch nicht in N war und zudem auch die Rückkehrzeit falsch angegeben habe. Aufgrund der weiteren Einlassung des Klägers sie auch unstreitig, dass er am 06.02.2015 gar nicht das Haus verlassen habe, dies aber so mit angeblichen Arztbesuchen gegenüber der Beklagten zu 1) angegeben habe. Dies habe er aufgrund seiner – oben im Tatbestand wiedergegebenen Aussage im Anhörungsverfahren vor der Kündigung – Angaben versucht zu rechtfertigen und auch damit unstreitig gestellt und dies auch für die Vergangenheit.
Die Unterstellung des Klägers, dass der Kündigungsgrund ausschließlich in dem Observationsergebnis der Detektei bestehe, nämlich den Vorkommnissen am 05. und 06.02.2015, sei insofern falsch. Die Beklagte habe sowohl in der Betriebsratsanhörung vom 13.04.2015 als auch in der Klageerwiderung vom 28.05.2015 deutlich darauf hingewiesen, dass das vom Kläger nach seinen eigenen Angaben offenbar regelmäßig praktizierte Ansammeln eines „Polsters“ von Besuchen und Musterabgaben – welches auch die von der Beklagten festgestellten Auffälligkeiten in der Dokumentation des Klägers erklären dürfte – einen schweren Verstoß gegen die sich aus seinem Arbeitsvertrag ergebene Hauptleistungspflicht zu Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung und zudem aufgrund der damit zwangsläufig verbundenen falschen Datumsangaben einen gravierenden Verstoß gegen die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes zur Musterabgabe und deren Dokumentation darstelle. Darauf habe die Beklagte ihre Kündigung ausdrücklich gestützt. Hinsichtlich dieser sich aus der eigenen Einlassung des Klägers ergebenden Umstände bedürfe es keiner Verwertung des Observationsberichts. Sie seien in jedem Fall unabhängig von einer – hier im Übrigen nicht gegebenen – Rechtswidrigkeit der Observation verwertbar.
Die Beklagte habe auch die 2 Wochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten.
Die Frist beginne, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis von den maßgebenden Tatsachen habe und ihn deshalb eine fundierte Entscheidung über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses möglich sei. Dazu gehöre nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch die Anhörung des Arbeitnehmers zu einem Detektivbericht, um die Tatsachen aufzuklären, die gegebenenfalls gegen eine außerordentliche Kündigung sprechen könnten. Dementsprechend habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB erst mit der Stellungnahme des Klägers vom 10.04.2015 begonnen und am 24.04.2015 geendet.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der zweiten Instanz wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 31.08.2016 (Bl. 503 ff. d. A.) und 12.10.2016 (Bl. 571 f. d. A.) sowie der Beklagten vom 22.09.2016 (Bl. 553ff. d. A.) und 13.10.2016 (Bl. 575 f. d. A.) verwiesen.
Der Kläger hat nach der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht Berlin Brandenburg und der Urteilsverkündung am 14.10.2016 einen mehrseitigen Brief vom 24.10.2016 eingereicht.

Gründe:

I.
1. Die gem. § 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2c, Abs. 6 ; 66 Abs. 1 Satz 1,Satz 2 und Satz 5 ArbGG; §§ 519; 520 Abs. 3 ZPO zulässige Berufung ist insbesondere formgerecht und fristgemäß eingelegt und begründet worden. Die Berufung durfte auch schon vor Zustellung des begründeten Urteils I. Instanz eingelegt werden ( vgl. nur BAG 28.02.2008 NZA 2008, 660, 661).
2. Gegen die Klageerweiterung in der II. Instanz hinsichtlich des hilfsweisen Weiterbeschäftigungsantrages gegen die Beklagte zu 2) bestehen im Hinblick auf § 533 Ziffer 1) und Ziffer 2) ZPO keine Bedenken.
II.
Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage bis auf die Zeugniserteilung abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Berlin Brandenburg folgt dem Arbeitsgericht Berlin und sieht von einer nur wiederholenden Begründung gem. § 69 Abs. 2 ArbGG ab. Bereits die fristlose Kündigung vom 17.04.2015 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet. Die Prüfung der nur hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 27.04.2015 fiel daher ebenso wenig nicht mehr an wie der nur für den Fall des Obsiegens im Kündigungsschutzverfahren gestellte Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers. In Hinblick auf den Vortrag der Parteien zweiter Instanz und die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2016 wird nur auf Folgendes hingewiesen:
1. Das Landesarbeitsgericht Berlin Brandenburg folgt dem Arbeitsgericht Berlin bereits darin, dass wegen einer unstreitigen Falschdokumentation der Arbeitszeiten am 05. und 06.02.2015 ein Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB vorlag.
a) Denn der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtungen, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare oder die wissentlich und vorsätzlich falsche elektronische Dokumentation geleisteter Arbeitszeit. Denn der Arbeitgeber muss ebenso wie bei der Geleitzeit auch bei einer wie vorliegend nur im Rahmen bestimmten Arbeitszeit auf eine korrekte Dokumentation vertrauen können. Bei einem Verstoß verletzt der Arbeitnehmer in eklatanter Weise seine gegenüber dem Arbeitgeber bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB und begeht einen schweren Vertrauensbruch. (vgl. nur BAG 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 – EZA § 626 BGB 2002, Nr. 35, RZ. 14 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).
b) Dieser Verstoß liegt hier unstreitig gem. § 138 Abs. 3 ZPO vor.
aa) Hinsichtlich der Tatsache, dass der Kläger am 05.02.2015 angegeben hat, dass er in N einen Arztbesuch gemacht hat, dies aber tatsächlich nicht der Fall war, hat der Kläger dies nicht ordnungsgemäß bestritten. Er hat bis zum Ende der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz nicht vorgetragen, wo er sonst an diesem Tag gewesen ist und warum keinen falschen Eintrag getätigt habe.
bb) Hinsichtlich des 06.02.2015 ist dies noch eindeutiger. Der Kläger hat an diesem Tag sein Haus nicht verlassen, dennoch hat er bestimmte Arztbesuche angegeben. Er hat dies in der Berufungsbegründung damit zu rechtfertigen versucht, dass „ er sich nicht bewusst gewesen sei, Zeiten und Besuche falsch dokumentiert zu haben“, wollte aber „in Ansehung der prozessualen Wahrheitspflicht die Behauptung der Beklagten nicht einfach bestreiten“. Zu Recht hat bereits das Arbeitsgericht Berlin dies als Schutzbehauptung angesehen. Ein Dokumentation von Arztbesuchen, obwohl man das Haus nicht verlassen hat, ist keine Tatsache wie etwa die Erinnerung eines Besuchs für eine bestimmte – falsche – Uhrzeit, sondern absolut erinnerungswürdig.
cc) Der Kläger hat dies auch dadurch unstreitig gestellt, dass er im vorprozessualen Anhörungsverfahren eine derartige Falscheintragung damit zu rechtfertigen versuchte, dass er 2 Ärzte besucht hätte, aber früher, und sich für Tage, an denen er nicht die erwünschte Anzahl von 6, 7 oder 8 Arztbesuchen erreicht hätte, ein „ Polster“ zugelegt habe.
c) Ist dies aber durch die eigene Einlassung des Klägers unstreitig, durfte die Beklagte auf diese Tatsachen auch ihre Kündigung stützen. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin ausgeführt, dass es damit auf ein Verwertungsverbot des Detektivberichts nicht ankommt.
aa) Denn nach der von beiden Parteien zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16.12.2010 – 2 AZR 485/08 – EZA § 626 BGB 2002 Nr. 33 sind Gerichte bei der Urteilsfindung grundsätzlich an das Nichtbestreiten einer Partei gebunden. Sie dürfen für unbestrittene Tatsachen keinen Beweis erheben oder verlangen. Die Bindung der Gerichte an die Grundrechte zieht jedoch die Verpflichtung zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung nach sich. Sowohl aus dem Rechtsstaatsprinzip als auch aus dem im Privatrechtsverkehr zu beachtenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Prozessparteien folgen Anforderungen an das gerichtliche Verfahren und an die Grundlagen richterlicher Entscheidungsfindung.
Dem widerspricht es, unbestrittenen Sachvortrag, selbst wenn er unter Verletzung von Grundrechten gewonnen wurde, stets und uneingeschränkt prozessual zu verwerten. Der gebotene Schutz des Arbeitnehmers vor einer unzulässigen Informationsgewinnung durch unzulässige Überwachung kann es erfordern, aus der Überwachung gewonnene Erkenntnisse bei der Entscheidungsfindung unberücksichtigt zu lassen, wenn durch die gerichtliche Entscheidung der Verstoß perpetuiert würde. Der Arbeitnehmer ist nicht gezwungen, die betreffenden Tatsachen – gegebenenfalls bewusst wahrheitswidrig – zu bestreiten.
Der Schutz des Arbeitnehmers vor einer rechtwidrigen Überwachung verlangt allerdings nicht in jedem Fall, auch solche unstreitigen Tatsachen außer Acht zu lassen, die dem Arbeitgeber nicht unmittelbar durch die Überwachung, sondern durch Auswertung einer ihm unabhängig hiervon zur Verfügung stehenden, ohne Rechtsverstoß gewonnenen Informationsquelle zur Verfügung stehen.
bb) So liegt es hier: Denn die Arbeitgeberin hat zwar auf Grund des Detektivberichts den Kläger befragt, was er zu den entsprechenden Tagen am 05. und 06.02.2015 vorzubringen hätte. Der Kläger hat daraufhin aber selbst die „Polster“- Rechtfertigung abgegeben. Auch darauf hat die Beklagte die Kündigung gestützt und in der sehr ausführlichen Betriebsratsanhörung dazu auch den bei ihr bestehenden Betriebsrat angehört (vgl. d. Betriebsratsanhörung Anlage B 20, Bl. 205 ff., insbesondere Bl. 216 f. d. A.), so dass dies auch gem. 102 Abs. 1 BtrVG zu verwerten war.
2) Unabhängig von den Ausführungen unter II. 1) der Urteilsgründe durfte die Beklagte aber auch die Erkenntnisse aus dem Detektivbericht verwerten.
a) Analog zur auch von den Parteien zitierten Rechtsprechung des 8. Senats des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 19.02.2015 – 8 AZR 1007/13 – EZA § 611 BGB 2002 Persönlichkeitsrecht Nr. 18) sind durch einen Privatdetektiv erhobene Daten dann nicht rechtwidrig erlangt und damit verwertbar, wenn begründete Zweifel an der bis dato erfolgten Arbeitszeit- und Medikamentenmusterabgabendokumentation bestehen.
b) Derartig begründete Zweifel liegen hier vor.
aa) Dies fängt bereits mit den nachbearbeiteten Spesenzeiten für den Oktober 2014 an, die durch Frau B. bestätigt wurden. (vgl. die Erklärung von Frau B., Anlage D3, Bl. 107 d. A.).
bb) Es wird durch die Dokumentation der Musterabgaben an Ärzte (Anlage B5, Bl. 114ff d. A.) bestätigt, wonach zum einen dieselben Ärzte mit völlig unterschiedlichen Unterschriften bzw. nur einem Buchstaben die Musterabgabe abzeichnen, zum anderen die sich daraus ergebenden Zeiten der Besuche des Klägers bei einzelnen Ärzten in unterschiedlichen Städten logisch nicht nachvollziehbar erscheinen.
cc) Es durfte daher bei der Beklagten der Verdacht entstehen bzw. „begründete Zweifel“ im Sinne der zitierten Rechtsprechung, dass der Kläger wiederholt Arztbesuche dokumentiert hat, die entweder gar nicht oder nicht an den entsprechenden Tagen stattgefunden hatten. Außerdem durften bei der Beklagten die Zweifel entstehen, ob der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeitsbereiche für die Spesenabrechnung falsche – insbesondere zu lange – Abwesenheitszeiten angegeben und basierend darauf Spesenzahlungen vereinnahmt hatte, auf die er keinen Anspruch hatte.
c) Die Erkenntnisse aus dem Detektivbericht bestätigten die Zweifel für den 05. und 06.02.2015 wie oben ausgeführt.
3) Die Beklagte hat auch die 2 Wochenfristen des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten.
a) Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von 2 Wochen erfolgen. Diese Frist beginnt nach Absatz 2 Satz 2 der Norm mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Die Bestimmung ist ein gesetzlich konkretisierter Verwirkungstatbestand. Ihr Ziel ist es, dem Arbeitnehmer rasch Klarheit darüber zu verschaffen, ob der Kündigungsberechtigte einen bestimmten Sachverhalt zum Anhalt für eine außerordentliche Kündigung nimmt. Die Frist beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis von den maßgebenden Tatsachen hat und ihm deshalb eine fundierte Entscheidung über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses möglich ist. Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. So lange diese dem Kündigungsberechtigten nicht umfassend bekannt sind, kann dessen Kündigungsrecht nicht verwirken. Dabei gehören auch solche Aspekte zum Kündigungssachverhalt, die für den Arbeitnehmer sprechen. Sie lassen sich regelmäßig nicht ohne eine Anhörung des Arbeitnehmers erfassen. Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann deshalb nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen beginnt. Sind die Ermittlungen abgeschlossen und hat er eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist. Unbeachtlich ist, ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder überflüssig waren. (vgl. dazu nur BAG 25.11.2010 – 2 AZR 171/09 – EZA § 108 BPersVG Nr. 5, RZ. 15 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).
b) Danach war die 2 Wochenfrist des § 626 BGB bei Kündigungszugang am 17.04.2015 noch nicht abgelaufen. Zwar lagen der Beklagten schon am 24.02.2015 (Bereichsleiterin Personal Frau S) die Berichte der Detektei vor. Der Bericht musste jedoch zunächst mit den Angaben des Klägers abgeglichen werden. Danach wurde dem Kläger mit Mail vom 09.03.2015 und nach seiner Mitteilung vom Krankenhausaufenthalt vom 12.03.2015 unter Bezugnahme auf die Beobachtungen der Detektei und den sich daraus für die Beklagte ergebenden Verdacht informiert und um Stellungnahme gebeten. Diese erfolgte auf Grund der Krankheit und der Einlassung der Prozessbevollmächtigten des Klägers erst am 10.04.2015. Erst auf Grund dieser Stellungnahme (vgl. dazu die Stellungnahme Anlage B 19, Bl. 199 ff. d. A.) konnte die Beklagte davon ausgehen, dass der Kläger tatsächlich seine Dokumentationen nicht nur an den beiden Tagen 05. und 06.02.2015 falsch angegeben hatte, sondern dass diesen Einzeltagen keine irrtümliche Dokumentation sondern sogar ein Muster zu Grunde lag.
III) Der Kläger trägt daher die Kosten seiner erfolglosen Berufung gem. § 97 Abs. 1 ZPO.
IV) Für eine Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
V) Das Schreiben des Klägers, welches nach der Urteilsverkündung beim Landesarbeitsgericht Berlin Brandenburg einging, war nicht zu berücksichtigen, da das Gericht gem. § 318 ZPO an seine Entscheidung gebunden ist. Eine Anhörungsrüge ist in dem Schreiben ebenfalls nicht zu sehen. Sie hätte im Übrigen auch nur durch einen Anwalt oder eine gleichgestellte Vertretung erhoben werden können (vgl. dazu nur Germelmann / Matthes / Prütting, ArbGG, 8. Auflage, § 78a RZ. 14).


(Kündigung Arbeitszeit Arbeitszeitbetrug)

Aktuelle Beiträge und Urteile zum Thema Arbeitsrecht: