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Eine Nachlasspflegschaft ist auch bei Vorliegen einer transmortalen Generalvollmacht zulässig
Beschluss des OLG Stuttgart vom 27.05.2015
Aktenzeichen: 8 W 147/15
Kurze Zusammenfassung der Entscheidung:
Im Jahr 2012 errichtete die Erblasserin ein Testament, mit der sie ihre beiden Schwestern zu Erben ernannte. Darüber hinaus wurde eine der beiden Schwestern als Testamentsvollstreckerin im Testament benannt. Gleichzeitig erteilte die Erblasserin einer der beiden Schwestern eine transmortale Generalvollmacht.
Bereits im Jahr 1976 hatte die Erblasserin erstmals ein Testament errichtet. Im Rahmen dieses Testamentes wurde auch der Bruder der Erblasserin, neben den Schwestern, als Erbe berufen. Der Bruder wurde als Testamentsvollstrecker benannt.
Nach dem Tod der Erblasserin erhob deren Bruder Feststellungsklage mit dem Antrag, festzustellen dass er Miterbe der Erblasserin geworden ist und Testamentsvollstrecker. Hierzu wurde vom Bruder vorgetragen, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des Testamentes im Jahr 2012 testierunfähig gewesen sei. Angesichts dieser Feststellungsklage ordnete das Nachlassgericht die Nachlasspflegschaft an. Gegen diesen Beschluss wandten sich die beiden Schwestern. Die Schwestern trugen vor, dass die Einrichtung einer Nachlasspflegschaft nicht erforderlich ist, da die Erblasserin einer der beiden Schwestern eine transmortalen Generalvollmacht erteilt hatte.
Der Beschwerde gegen den Beschluss auf Einrichtung einer Nachlasspflegschaft wurde nicht entsprochen. Das OLG Stuttgart führt diesbezüglich aus, dass im vorliegenden Fall die Vollmacht von den Einwendungen gegen die Wirksamkeit des Testamentes ebenfalls betroffen sei. Da aufgrund der Feststellungsklage bis auf weiteres unklar sei, wer tatsächlich Erbe der Erblasserin geworden ist, muss davon darüber hinaus ausgegangen werden, dass die tatsächlichen Erben unbekannt sind. Folglich liegen die Voraussetzungen für die Nachlasspflegschaft vor. Hieran ändert auch die vorliegende transmortalen Vollmacht nichts, da diese Vollmacht nicht geeignet ist, die Erbenstellung zu klären.
(Nachlasspflegschaft Generalvollmacht)
Tenor:
1) Die Beschwerde der Beteiligten Nr. 1 und 2 gegen den Beschluss des Notariats Stuttgart Referat 9 – Nachlassgericht – (9 NG 56/2014) wird zurückgewiesen.
2) Die Beteiligten Nr. 1 und 2 tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3) Der Beschwerdewert beträgt 25.000.- EUR
(Nachlasspflegschaft Generalvollmacht)
Entscheidungsgründe:
I. Tatbestand
Die Beteiligten Nr. 1 und 2, Schwestern der Erblasserin, einerseits und der Beteiligte Nr. 3, Bruder der Erblasserin, andererseits streiten um die Wirksamkeit eines von der Erblasserin am 16.02.2012 errichteten notariellen Testaments, das der Beteiligte Nr. 3 wegen Testierunfähigkeit der Erblasserin für unwirksam hält. Nach dem Testament vom 16.02.2012 würden die Beteiligten Nr. 1 und 2 Erben und die Beteiligte Nr. 1 Testamentsvollstreckerin. Im Falle der Unwirksamkeit dieses Testaments wären aufgrund eines gemeinschaftlichen notariellen Testaments der Erblasserin und ihres vorverstorbenen Ehemanns vom 22.12.1976 zu Erben berufen die Beteiligten Nr. 1 (mit einem anderen Erbteil), sowie die Beteiligten Nr. 3 bis 11 und der Beteiligte Nr. 3 zum Testamentsvollstrecker. Der Beteiligte Nr. 3 stützt seine Behauptung, die Erblasserin sei bei der Errichtung des zweiten Testaments wegen einer demenziellen Erkrankung testierunfähig gewesen, im Wesentlichen auf das Zeugnis der Hausärztin und einen Arztbrief des Klinikums Stuttgart. Die Beteiligten Nr. 1 und 2 verweisen für die Testierfähigkeit der Erblasserin unter anderem auf eine ärztliche Bescheinigung von Prof. Dr. … vom 08.02.2012 und die Einschätzung der beurkundenden Notare.
Vor dem Landgericht Stuttgart (24 O 475/14) ist eine Klage des Beteiligten Nr. 3 vom 23.12.2014 gegen die Beteiligten Nr. 1 und 3 anhängig, mit welcher er die Feststellung begehrt, dass er aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 22.12.1976 mit einer Quote von 9/21 Erbe geworden und zum Testamentsvollstrecker berufen ist. Nach mündlicher Verhandlung hat das Landgericht beschlossen, über die vom Beteiligten Nr. 3 behauptete Testierunfähigkeit der Erblasserin Beweis zu erheben.
Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 26.02.2015 Nachlasspflegschaft angeordnet und den Beteiligten Nr. 12 zum Nachlasspfleger mit dem Wirkungskreis Sicherung und Verwaltung des Nachlasses bestellt.
Dagegen wenden sich die Beteiligten Nr. 1 und 2 mit der Beschwerde und dem weiteren Antrag, die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses gemäß § 64 Abs. 3 FamFG auszusetzen. Sie vertiefen ihren erstinstanzlichen Vortrag, wonach weder die Person der Erben ungewiss sei, noch ein Fürsorgebedürfnis für den Nachlass bestehe, da die Erblasserin den Beteiligten Nr. 1 und 2 am 16.01.2012 auch eine über den Tod hinausreichende Generalvollmacht erteilt habe.
Wegen des weiteren tatsächlichen Vorbringens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II. Gründe
Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Das Nachlassgericht ist zurecht vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft nach § 1960 BGB ausgegangen. Zur Begründung nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug und weist ergänzend noch auf folgendes hin:
Ein Erbe ist im Sinne von § 1960 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB unbekannt, wenn sich das Nachlassgericht nicht ohne umfängliche Ermittlung davon überzeugen kann, wer von mehreren in Betracht kommenden Personen Erbe geworden ist. Ungewissheit über die Person des Erben besteht unter anderem, wenn konkrete Zweifel an der Gültigkeit einer letztwilligen Verfügung bestehen (BGH FamRZ 2012, 1869; Münchener Kommentar BGB / Leipold, 6. Aufl., § 1960 Rn. 13; Zimmermann, Die Nachlasspflegschaft, 3. Aufl., Rn. 31). Bloße oberflächliche Zweifel an der Gültigkeit des Testaments genügen nicht (OLG Stuttgart/ Senat BWNotZ 1978, 163). Dagegen liegen die Voraussetzungen des § 1960 Abs. 1 S. 2 Alt 1 BGB in der Regel vor, wenn über die Erbberechtigung ein Rechtsstreit schwebt (Münchener Kommentar BGB a.a.O. Rn. 15). Die vom Beteiligten Nr. 3 geltend gemachten Zweifel sind, wovon das Nachlassgericht zurecht ausgegangen ist, nicht bloß oberflächlicher Natur. Dies wird vor allem auch dadurch belegt, dass das Landgericht im anhängigen Erkenntnisverfahren betreffend die Erbberechtigung des Beteiligten Nr. 3 über dessen Behauptungen zur Testierunfähigkeit der Erblasserin Beweis erheben will.
Das Bedürfnis für eine gerichtliche Fürsorge fehlt zwar in der Regel, wenn ein Testamentsvollstrecker vorhanden ist. Das Nachlassgericht hat jedoch zurecht darauf hingewiesen, dass auch die Person des Testamentsvollstreckers ungewiss ist, weil auch insoweit durch die angegriffene letztwillige Verfügung eine Auswechslung vorgenommen worden ist (statt des Beteiligten Nr. 3 nunmehr die Beteiligte Nr. 1).
Ein Fürsorgebedürfnis kann weiter fehlen, wenn der Erblasser eine über seinen Tod hinaus geltende Generalvollmacht erteilt hat. Die Erblasserin hat den Beteiligten Nr. 1 und 2 am 16.01.2012, einen Monat vor Errichtung der letztwilligen Verfügung, zwar eine solche Vollmacht erteilt. Das Nachlassgericht ist jedoch im vorliegenden Fall zurecht davon ausgegangen, dass ein Fürsorgebedürfnis auch dadurch nicht entfallen ist. Zum einen unterliegt die Wirksamkeit der Vollmacht denselben nicht nur oberflächlichen Zweifeln wie die letztwillige Verfügung. Zum anderen sind die Beteiligten Ziff. 1 und 2 selbst am Nachlass beteiligt und wurden von dem Beteiligten Nr. 3 mit einem Rechtsstreit überzogen. Um Zweifeln an der Neutralität der Bevollmächtigten vorzubeugen, erscheint die Maßnahme des Nachlassgerichts, einem neutralen Dritten die notwendig werdenden Sicherungs- und Verwaltungsmaßnahmen zu übertragen, nicht ermessensfehlerhaft (vgl. auch BGH FamRZ 2012, 1869).
Da die Beschwerdeangelegenheit in der Sache entscheidungsreif ist, war kein Raum für die von Seiten der Beschwerdeführerinnen beantragte Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Nachlasspflegerbestellung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, Nr. 12320 KVfG (Tabelle A). Der Geschäftswert orientiert sich an den möglichen Kosten des Nachlasspflegers (Vgl. Zimmermann a.a.O. Rn. 196)
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 FamFG liegen nicht vor.
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