Wechselt der Erblasser nach Eintritt der Geschäftsunfähigkeit seinen Wohnort, so wirkt sich dies nicht auf die örtliche Zuständigkeit des Nachlassgerichtes aus

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Urteil des OLG München vom 22.03.2017

Aktenzeichen: 31 AR 47/17

Kurze Zusammenfassung der Entscheidung:

Wechselt der Erblasser nach Eintritt der Geschäftsunfähigkeit seinen Wohnort, so wirkt sich dies nicht auf die örtliche Zuständigkeit des Nachlassgerichtes aus
Im vorliegenden Fall sollte das OLG München darüber entscheiden, welches Nachlassgericht örtlich zuständig ist. Der Erblasser war ca. 3 Wochen vor seinem Tod in einer Pflegeeinrichtung untergebracht worden. Die Pflegeeinrichtung lag im Gerichtsbezirk eines anderen Nachlassgerichtes, als der vormalige Wohnort des Erblassers.
Zum Zeitpunkt der Einlieferung in die Pflegeeinrichtung war der Erblasser nicht mehr geschäftsfähig. Aus diesem Grunde ging das OLG München davon aus, dass sich die Einlieferung des Erblassers in die Pflegeeinrichtung nicht auf die Frage der örtlichen Zuständigkeit des Nachlassgerichtes auswirkt.
Nur wenn die Einlieferung in die Pflegeeinrichtung auf dem freien Willen des Erblassers beruht, führt dies zu einem neuen gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers im Sinne von § 343 Abs. 1 FamFG. Da der Erblasser im vorliegenden Fall mangels Geschäftsfähigkeit nicht mehr über den notwendigen freien Willen verfügte, hat die Einlieferung in die Pflegeeinrichtung nicht zur Folge, dass sich hierdurch der gewöhnliche Aufenthaltsort des Erblassers ändert. Folglich bleibt das ursprünglich am Wohnort des Erblassers zuständigen Nachlassgericht auch weiterhin örtlich zuständig.
Das OLG München zieht die Geschäftsfähigkeit des Erblassers zur Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthaltes des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes heran, um zu vermeiden, dass nach Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Erblassers gegen dessen Willen durch Veränderung seines Aufenthaltsortes die rechtlichen Grundlagen für die spätere Nachlassabwicklung manipuliert werden können.

(Nachlassgericht Zuständigkeit Geschäftsfähigkeit)

Tenor:

Die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts für die Ermittlung der Erben nach dem Erblasser und zur Benachrichtigung der Beteiligten wird abgelehnt.
Gründe

(Nachlassgericht Zuständigkeit Geschäftsfähigkeit)

Entscheidungsgründe:

Das Nachlassgericht Landshut hat mit Vorlagebeschluss vom 09.02.2017 eine Entscheidung über die Zuständigkeit des Nachlassgerichts gemäß § 5 Absatz 1 Nr. 4 FamFG für die Ermittlung der Erben nach dem Erblasser (vgl. Art. 37 Abs. 1 AGGVG) und (ggf.) zur Benachrichtigung der Beteiligten (§ 348 Abs. 3 FamFG) beantragt, nachdem sich das Nachlassgericht Landshut mit Beschluss vom 09.01.2017 und das Nachlassgericht Erding mit Beschluss vom 30.01.2017 jeweils für örtlich unzuständig erklärt haben.
1. Sachlich kommt als Grundlage der Zuständigkeitsbestimmung nur § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG in Betracht. Nach dieser Vorschrift wird das zuständige Gericht durch das nächsthöhere gemeinsame Gericht bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für das Verfahren zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Dabei ist der Begriff der rechtskräftigen Unzuständigkeitserklärung weit auszulegen. Es genügt, dass jedes der beteiligten Gerichte seine Kompetenz ausdrücklich und förmlich geleugnet hat, wobei jedoch unerlässliche Voraussetzung die Bekanntgabe der kompetenzleugnenden Entscheidungen an die Beteiligten ist (OLG Hamm MDR 2016, 333 f.; OLG Düsseldorf ZEV 2017, 103 <104>). Dies ist vorliegend geschehen, so dass das Oberlandesgericht München als nächsthöheres Gericht für die Zuständigkeitsbestimmung örtlich und sachlich zuständig ist.
2. Allerdings kann eine Zuständigkeitsbestimmung erst dann erfolgen, wenn das vorlegende Nachlassgericht seiner Pflicht zur Ermittlung der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen gemäß § 26 FamFG vor Einleitung des Bestimmungsverfahrens nach § 5 FamFG nachgekommen ist. Denn es besteht im Interesse der Verfahrensbeschleunigung eine Pflicht des Vorlagegerichts, die die örtliche Zuständigkeit begründenden Tatsachen vor Einleitung des Bestimmungsverfahrens nach § 5 FamFG von Amts wegen zu ermitteln (OLG Düsseldorf ZEV 2017, 103 <104>). Unter Zugrundelegung des seit 17. August 2015 geltenden Rechts betreffend die örtliche Zuständigkeit der Nachlassgerichte, § 343 Abs. 1 FamFG, ist aber bislang eine ausreichende Ermittlung der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen nicht erfolgt.
a) Nach dem bis zum 17. August 2015 geltenden § 343 Abs. 1 FamFG a. F. bestimmte sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Wohnsitz des Erblassers zur Zeit des Erbfalls, hilfsweise nach dessen Aufenthalt. Dabei bestand im Ergebnis weitgehend Einigkeit, dass die Dauer des Aufenthaltes – sogar dessen Freiwilligkeit und Bewusstheit – ohne Belang sei, deshalb der Aufenthaltsort zur Zeit des Erbfalls regelmäßig mit dem Sterbeort zusammenfalle (OLG Düsseldorf ZEV 2017,103,<104>;Keidel/Zimmermann, FamFG, 18. Aufl. <2014>, § 343 Rn. 45).
b) Die zum 17. August 2015 in Kraft getretene Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO) sieht hingegen als grundlegendes Merkmal für die Anknüpfung gerichtlicher Zuständigkeiten in Erbsachen den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes vor (Art. 4 EuErbVO). Dementsprechend bestimmt nunmehr § 343 Abs. 1 FamFG n. F., örtlich zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Durch die Neufassung des § 343 Abs. 1 FamFG im Rahmen des IntErbRVG soll das Ziel, eine möglichst einheitliche örtliche Zuständigkeit der Gerichte für die Erteilung eines Erbscheins und für die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses nach Kapitel VI der EuErbVO zu gewährleisten, – und damit auch ein Gleichlauf mit Art. 4 EuErbVO – erreicht werden (vgl. BT-Drs. 18/4201 S. 59). Demgemäß ist der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ auch im Lichte des Art. 4 EuErbVO unter Heranziehung der Erwägungsgründe (23) und (24) zu bestimmen. Insoweit ist eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände vorzunehmen, auch unter Berücksichtigung von Dauer und Regelmäßigkeit von Besuchen, der besonders engen Bindung an einen Staat, der Sprachkenntnisse, der Lage des Vermögens (vgl. Palandt/Thorn 76. Auflage <2017> Art 21. EuErbVO; Köhler in: Gierl/Köhler/Kroiß/Wilsch „Internationales Erbrecht“ 2. Auflage <2017> Teil 1 § 4 Rn. 13 ff.; Dörner ZEV 2012, 505; Dutta FamRZ 2013, 4). Daraus ergibt sich, dass in Bezug auf den „gewöhnlichen Aufenthalt“ der tatsächliche Lebensmittelpunkt einer natürlichen Person zu verstehen ist, der mittels einer Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und zum Zeitpunkt des Todes festzustellen ist (Köhler in: Gierl/Köhler/Kroiß/Wilsch Internationales Erbrecht 2. Auflage <2017> Teil 1 § 4 Rn. 13; Keidel/Zimmermann a. a. O. § 343 Rn. 62; § 34 IntErbRVG Rn. 2 ff.). Für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltes des Erblassers ist neben dem objektiven Moment des tatsächlichen Aufenthalts auch ein subjektives Element, nämlich ein Aufenthalts- bzw. Bleibewille, erforderlich (Keidel/Zimmermann a. a. O. § 343 Rn. 67; Köhler a. a. O. Rn. 14). Andernfalls können Fragen eines erzwungenen oder willenlosen Aufenthalts nicht zufriedenstellend geklärt werden. Außerdem könnte sonst das materielle Erbrecht von Angehörigen manipuliert werden (Keidel/Zimmermann a. a. O. Rn. 67). Wenngleich ein rechtsgeschäftlicher Wille, den Aufenthaltsort zum Mittelpunkt der Lebensverhältnisse zu machen, nicht erforderlich ist (vgl. Dörner ZEV 2016,505 <510>), muss der Erblasser aber zur eigenen Willensbildung fähig sein (Köhler a. a. O. Rn. 16). Verliert dieser seine Geschäftsfähigkeit, kann er den gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr wechseln (Zimmer/Oppermann ZEV 2016, 126 <130>). Abzustellen ist daher grundsätzlich auf den letzten gewöhnlichen Aufenthalt zur Zeit der letztmalig vorhandenen Geschäftsfähigkeit des Erblassers (vgl. dazu auch Zimmer/Oppermann a.a.O), was unter Umständen auch die Erholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Geschäftsfähigkeit bei Begründung des für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit maßgeblichen gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers erfordern kann (vgl. Zimmer/Oppermann a. a. O. Fn. 19). Da Aufenthalt etwas Tatsächliches ist, ist eine gesetzliche Vertretung des Erblassers im Zusammenhang mit der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht zulässig; denn andernfalls könnte ggfs. ein Betreuer das anzuwendende Erbrecht bestimmen (Keidel/Zimmermann a. a. O. Rn. 67).
c) Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze, die auch im Rahmen des § 343 Abs. 1 FamFG zum Tragen kommen (vgl. oben), sind die Anknüpfungspunkte für die Bestimmung des zuständigen Nachlassgerichts durch den Senat bislang nicht abschließend geklärt.
aa) Ist der letzte Aufenthalt des Erblassers ein Pflegeheim, so kann dieses grundsätzlich der „gewöhnlicher Aufenthalt“ des Erblassers im Sinne des § 343 Abs. 1 FamFG sein, wenn er sich zur Zeit des Erbfalls von seinem Willen getragen dort aufgehalten hat, weil sein Gesundheitszustand eine auf eine nicht begrenzte Dauer angelegte medizinische und pflegerische Betreuung erfordert hat, und nichts dafür gesprochen hat, dass eine Rückkehr des Erblassers in die zuletzt von ihm bewohnte, an einem anderen Ort befindliche Wohnung in Betracht zu ziehen gewesen war (OLG Düsseldorf FamRZ 2013, 807 <808>; Keidel/Zimmermann, a. a. O. Rn. 68).
bb) Ob diese Voraussetzungen hier vorliegen, vermag der Senat derzeit nicht zu beurteilen, da das vorlegende Gericht nicht ermittelt hat, was der Grund für die Aufnahme des Erblassers in ein Pflegeheim nur 3 Wochen vor seinem Tod war. Diese Ermittlungen sind daher nachzuholen. Insbesondere ist festzustellen, ob der Erblasser zum Zeitpunkt der Übersiedlung noch geschäftsfähig war und es seinem Willen entsprach, sich in ein Pflegeheim zu begeben. Dabei hat sich das Nachlassgericht sämtlicher ihm zugänglicher Erkenntnisquellen zu bedienen (Stellungnahme des Pflegeheims, Anhörung von Angehörigen, Arztberichte etc., ggfs. auch ein Sachverständigengutachten einzuholen).
(Nachlassgericht Zuständigkeit Geschäftsfähigkeit)