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Urteil des FG Münster vom 30.04.2014
Aktenzeichen: 3 K 1915/ 12 Erb
Kurze Zusammenfassung der Entscheidung:
Der Erblasser wurde jeweils hälftig von seiner Lebenspartnerin und seiner Tochter beerbt. Diese setzten die Erbengemeinschaft auseinander, in dem die Lebenspartnerin ihren Erbanteil auf die Tochter des Erblassers übertrug. Im Weiteren beantragte die Tochter des Erblassers die Nachlassinsolvenz.
Gegenüber dem Insolvenzverwalter meldete die Finanzverwaltung die der Tochter des Erblassers gegenüber bereits festgesetzte Erbschaftsteuer als Nachlassverbindlichkeit an. Hiergegen wandte sich der Insolvenzverwalter, der davon ausging, dass nach der Erbauseinandersetzung der Nachlass für die von den Erben geschuldete Erbschaftsteuer nicht mehr haftet.
Die Rechtsauffassung des Insolvenzverwalters wird vom Finanzgericht Münster bestätigt. Mit der Vornahme der Erbauseinandersetzung haftet der Nachlass nicht mehr für die von den Erben geschuldete Erbschaftsteuer.
Die Erbschaftsteuer stellt auch keine Nachlassverbindlichkeit dar, die gegenüber dem Nachlass geltend gemacht werden könnte. Nachlassverbindlichkeiten sind Schulden des Erblassers oder Verbindlichkeiten die durch den Erbfall selbst ausgelöst wurden. Für solche Nachlassverbindlichkeiten haftet der Nachlass.
Bei der Erbschaftsteuer hingegen handelt es sich um eine Eigenschuld der jeweiligen Erben. Gemäß § 20 III Erbschaftsteuergesetz kommt eine Haftung des Nachlasses für die Erbschaftsteuer nur bis zu Erbauseinandersetzung in Betracht. Bei der Vorschrift des § 20 III Erbschaftsteuergesetz handelt es sich um eine gesetzliche Vorschrift, die der Vereinfachung der Durchsetzung der Erbschaftsteuer durch die Finanzverwaltung dient. Aus dieser Vorschrift kann hingegen nicht geschlossen werden, dass die Erbschaftsteuer als Nachlassverbindlichkeit zu werten ist.
(Nachlassverbindlichkeit Erbschaftsteuer)
Tenor:
1) Der Feststellungsbescheid vom 05.04.2012 und die Einspruchsentscheidung vom 24.05.2012 werden aufgehoben.
2) Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
3) Die Revision wird zugelassen.
(Nachlassverbindlichkeit Erbschaftsteuer)
Entscheidungsgründe:
I. Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Feststellungsbescheides gemäß § 251 Abs. 3 Abgabenordnung (AO).
Der am 08.05.2009 verstorbene Erblasser wurde von seiner Tochter und seiner Lebensgefährtin zu je ½ beerbt. Ein entsprechender Erbschein wurde am 23.09.2009 vom Amtsgericht A erteilt.
Nachdem der Beklagte die Lebensgefährtin vergeblich zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung aufgefordert hatte, schätzte er die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Erbschaftsteuer durch Bescheid vom 30.08.2010 auf 48.990 Euro fest. Der Bescheid wurde öffentlich zugestellt. Der Bescheid ist bestandkräftig.
Mit Schreiben vom 09.09.2010 zeigte die Rechtsanwaltskanzlei R an, die Lebensgefährtin habe ihren Erbteil auf die Tochter des Erblassers übertragen. Der Nachlass sei überschuldet.
Das Nachlassinsolvenzverfahren beim Amtsgericht S ( IN AZ) wurde am 00.00.0000 eröffnet.
Der Beklagte meldete die Erbschaftsteuer als Nachlassforderung zur Insolvenztabelle an. Der Kläger widersprach der Anmeldung im Prüfungstermin.
Der Beklagte erließ deshalb am 05.04.2012 über die Erbschaftsteuer gemäß Bescheid vom 30.08.2010 gegenüber dem Kläger einen auf § 251 Abs. 3 AO gestützten Feststellungsbescheid, gegen den der Kläger am 25.04.2012 Einspruch einlegte und zur Begründung ausführte, der Nachlass hafte nur bis zur Auseinandersetzung für Steuerverbindlichkeiten der Erben. Eine Auseinandersetzung des Nachlasses sei aber bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt.
Den Einspruch wies der Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom 24.05.2012 (PZU vom 26.05.2012) als unbegründet zurück. Eine zeitliche Beschränkung der Haftung des Nachlasses sei weder § 2042 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) noch §§ 1967, 1975 BGB zu entnehmen.
Mit der Klage vom 05.06.2012 verfolgt der Kläger sein Begehren auf Aufhebung des Feststellungsbescheides weiter. Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren und legt den Vertrag über die Erbauseinandersetzung vom 25.09.2009 vor (Blatt 55 bis 59 der Gerichtsakte), auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Feststellungsbescheid des Finanzamts C Erbschaftsteuer 2009 vom 05. April 2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. Mai 2012 aufzuheben,
hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
Zur Begründung verweist er auf seine Einspruchsentscheidung und auf das Urteil des BFH vom 11.08.1998 VII R 118/95 (BStBl. II 1998, 705).
Die Berichterstatterin hat den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten am 02.04.2014 erörtert. Zu den Einzelheiten wird auf das Protokoll des Erörterungstermins hingewiesen (Blatt 46/47 der Gerichtsakte).
Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung – FGO).
II. Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Feststellungsbescheid und die Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Erbschaftsteuerforderung des Beklagten kann nicht als Insolvenzforderung durch Feststellungsbescheid gemäß § 251 Abs. 3 AO geltend gemacht werden.
Gemäß § 251 Abs. 3 AO ist die Finanzbehörde befugt, soweit sie im Insolvenzverfahren einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis als Insolvenzforderung geltend macht, diesen im Bestreitensfall durch Bescheid festzustellen.
Voraussetzung ist, dass es sich bei dem Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis um eine Insolvenzforderung handelt. In einem Nachlassinsolvenzverfahren kommen daher nur solche Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis als Insolvenzforderung in Betracht, bei denen es sich um Nachlassverbindlichkeiten handelt, § 325 InsO.
Zu den Nachlassverbindlichkeiten gehören gem. § 1967 Abs. 2 BGB die vom Erblasser herrührenden Schulden (Erblasserschulden) und die den Erben als solchen treffenden Verbindlichkeiten, insbesondere die Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten, Vermächtnissen und Auflagen (Erbfallschulden). Demgegenüber sind Eigenschulden des Erben, die vor oder nach dem Erbfall in der Person des Erben entstehen und ihn als Träger seines Eigenvermögens berühren, keine Nachlassverbindlichkeiten (vgl. Küpper in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Band 9 Erbrecht, § 1967 Rz. 25). Eigenverbindlichkeiten des Erben sind auch sog. Nachlasserbenschulden, die der Erbe bei der Verwaltung des Nachlasses eingeht. Soweit bei Eingehung dieser Verbindlichkeiten auch ein Zusammenhang mit der Abwicklung des Nachlasses besteht, kann nach außen sowohl eine Nachlass- als auch eine Eigenverbindlichkeit entstehen (vgl. dazu Palandt/Edenhofer, BGB, § 1967 Rz. 8).
Danach ist die Erbschaftsteuer eine Eigenschuld des Erben und keine Nachlassverbindlichkeit gem. § 1967 BGB, § 325 InsO. Dies ergibt sich nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 03.07.1990 15 W 493/89, OLGZ 1990, 393, dem folgend OLG Frankfurt, Urteil vom 27.01.2012 24 U 38/11, zitiert nach Juris, und OLG Koblenz, Beschluss vom 14.12.2010 5 U 1116/10, GuT 2012, 186 mit weiteren Nachweisen zu Rechtsprechung und Literatur; a.A. OLG Naumburg, Urteil vom 20.10.2006 10 U 33/06, FAmRZ 2007, 1047, vgl. auch Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 251 AO Tz. 137, Drüen, ebenda, § 45 AO Tz. 27), der sich der Senat für den vorliegenden Fall anschließt, aus dem Umstand, dass die Erbschaftsteuer der Höhe nach an das persönliche Verwandtschaftsverhältnis des einzelnen Erben gegenüber dem Erblasser anknüpft (§ 15 ErbStG). § 20 Abs. 1 ErbStG regelt ausdrücklich, dass Steuerschuldner der Erwerber ist, nicht der Nachlass als Ganzes. § 20 Abs. 3 ErbStG begründet nur eine Mithaftung des Nachlasses bis zur Auseinandersetzung, was entbehrlich wäre, wenn es sich ohnehin um eine Nachlassverbindlichkeit handeln würde. § 10 Abs. 8 ErbStG bestimmt, dass die Erbschaftsteuer nicht nachlassmindernd zu berücksichtigen ist. Der Erbe wird zwar in seiner Eigenschaft als Erbe belastet, jedoch haftet er nicht für die Erbschaftsteuerschuld anderer Erben, Pflichtteilsberechtigter oder Vermächtnisnehmer. Daraus folgt, dass der Nachlass gerade nicht belastet mit der Erbschaftsteuerschuld auf den Erben im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übergeht, sondern dass die Entstehung der Steuerschuld individuell an jeden Erwerb durch einen Erbfall anknüpft und deshalb nicht zur Abwicklung des Nachlasses gehört.
Wie auch das OLG Koblenz nimmt der Senat die Äußerung des Bundesfinanzhofs im Urteil vom 28.04.1992 (VII R 33/91, NJW 1993, 350) aus den vom OLG angestellten Erwägungen nicht zum Anlass, die Erbschaftsteuer entgegen den vorstehend dargestellten Erwägungen als Nachlassverbindlichkeit zu qualifizieren. Auch aus dem vom Beklagten in Bezug genommenen Urteil des Bundesfinanzhofs vom 11.08.1998 (VII R 118/95, BStBl. II 1998, 705) ergeben sich nach Auffassung des Senats keine Argumente für eine Qualifizierung der Erbschaftsteuerschuld als Nachlassverbindlichkeit i.S.d. § 1967 Abs. 2 BGB, § 325 InsO. Betroffen war im vom Bundesfinanzhof zu entscheidenden Fall nämlich die in der Person des Erben entstandene Einkommensteuer aus einem vom Erblasser angestoßenen Veräußerungsgeschäft.
Auch unter dem Gesichtspunkt der Haftung scheidet eine Qualifizierung der Erbschaftsteuer als Nachlassverbindlichkeit aus. Denn aus § 20 Abs. 3 ErbStG ergibt sich, dass eine Haftung des Nachlasses für die Steuer nur bis zu dessen Auseinandersetzung in Betracht kommt, die hier aber bereits vor Festsetzung der Erbschaftsteuer und vor der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens erfolgt war. Auch aus dem das o.a. Urteil des OLG Frankfurt aufhebenden Urteil des BGH vom 10.10.2013 (IX ZR 30/12, MDR 2014, 114) sind nach Auffassung des Senats keine anderweitigen Schlüsse zu ziehen. Der dort entschiedene Fall unterscheidet sich vom vorliegenden Fall bereits maßgeblich dadurch, dass dort die Erbschaftsteuer rechtskräftig zur Nachlassinsolvenztabelle angemeldet und die Qualität der Erbschaftsteuer als Nachlassverbindlichkeit deshalb nicht mehr zu beurteilen war.
§ 45 Abs. 2 AO verweist auf die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts und damit auf § 1967 Abs. 2 BGB, den der Senat aber aus den genannten Gründen im vorliegenden Fall nicht für einschlägig hält.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Zulassung der Revision erfolgt zur Fortbildung des Rechts, § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO. Eine BFH-Entscheidung zur Qualifizierung der Erbschaftsteuer als Nachlassverbindlichkeit i.S.d. § 1967 Abs. 2 BGB ist nicht ersichtlich.
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