Urteil des OLG Naumburg vom 07.11.2013

Aktenzeichen: 1 U 69/13

Kurze Zusammenfassung der Entscheidung:

Die Entscheidung beschäftigt sich mit der Frage, wann im Wege der Testamentsauslegung davon auszugehen ist, dass der Vorerbe vom Erblasser befreit wurde.
Die Entscheidung geht davon aus, dass sich eine Befreiung des Vorerben aus dem Willen des Erblassers ergibt, wenn die Umstände der Anordnung der Vor- und Nacherbschaft einen entsprechenden Schluss zulassen. Im vorliegenden Fall hatte die Erblasserin ausdrücklich mit dem Willen die Vor- und Nacherbschaft angeordnet, um zu verhindern, dass ihr Stiefsohn durch Erbgang ihr Vermögen erlangt. Aus diesem Motiv schloss das Gericht, dass die Erblasserin die Absicht hatte, den Vorerben zu befreien.

(Testament Auslegung Befreiung des Vorerben)

Tenor:

1) Auf die Berufung der Beklagten wird das am 10. April 2013 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
2) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.000,00 EUR nebst Zinsen für das Jahr in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. September 2012 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3) Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
4) Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen der Kläger 9/10 und die Beklagte 1/10.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung der jeweils anderen Seite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des auf Grund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Entscheidungsgründe:

I. Der Kläger nimmt die Beklagte in erster Linie als für die Nachlassverbindlichkeiten seines Onkels H. T. haftende testamentarische Erbin auf Schadensersatz in Anspruch, weil Herr T. als nicht befreiter Vorerbe den Nachlass seiner vorverstorbenen Ehefrau, B. T., geb. L., nicht ordnungsgemäß verwaltet habe, sodass kein an den Kläger als Nacherben herausgebbares Vermögen der Frau T. mehr vorhanden ist.
Die Eheleute T. waren kinderlos. H. T. hatte einen Sohn aus erster Ehe, mit dem man sich überworfen hatte und der vom Vermögen der Eheleute nichts erhalten sollte. Deshalb wählte Frau T. in ihrem Testament die Vor- und Nacherbschaft, um den Sohn des Ehemannes nicht in den Genuss ihres Vermögens, sei es als Erbe oder als Pflichtteilsberechtigter nach H. T., kommen zu lassen (Bd. I Bl. 2 d.A.).
Herr T. hatte in der DDR einen eigenen Betrieb. Die Eheleute wohnten im Elternhaus der Frau T. in M., L. Straße 4. Dieses Grundstück verkaufte Frau T. am 10. 12. 1990 für 290.000,00 DM, woraufhin Herr und Frau T. nach D. verzogen. Beide verfügten über gemeinsame Renteneinnahmen von ca. 3.000,00 EUR im Monat. Zuletzt mussten sie für ihre Wohnung in K. monatlich ca. 1.000,00 EUR zahlen. Nach dem Tod der Erblasserin erhielt Herr T. noch eine Rente zwischen 1.700,00 EUR und 1.800,00 EUR.
Im Januar 2004 zog der Vorerbe zurück in seine Heimatstadt M., wo er über Freunde und Bekannte verfügte. Am 29. 3. 2004 errichtete er ein die Beklagte begünstigendes Testament, das er jährlich abzeichnete (Bd. I Bl. 10 d.A.). Irgendwelche, auf den Nachlass der Frau T. bezogenen Forderungen hat der Kläger gegen Herrn T. nie erhoben.
Der Kläger hat behauptet, Herr T. sei nicht befreiter Vorerbe gewesen und habe den Nachlass seiner Ehefrau nicht ordnungsgemäß verwaltet. Zur Zeit des Vorerbfalles habe die Erblasserin einschließlich des Guthabens aus dem Wohnungsdarlehen (11.545,60 EUR) ein Vermögen von 118.836,50 EUR besessen, zu dem auch ein Audi A3 mit dem amtlichen Kennzeichen … (später …) gehört habe. Beim Tod des Vorerben und damit im Moment des Nacherbfalls sei nichts mehr vorhanden gewesen. Nach Auffassung des Klägers komme es nicht auf den Kauf des Fahrzeugs durch die Beklagte an. Maßgeblich sei allein das Fehlen eines an dessen Stelle getretenen Gegenwertes im Nachlass zum Zeitpunkt des Nacherbfalls, was die Verfügung ex nunc unwirksam mache.
Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 10. 4. 2013, auf das wegen der dort im Übrigen getroffenen tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, bis auf einen Teil der Zinsen stattgegeben. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.
Die Beklagte trägt vor, sie habe mittlerweile die Annahme der Erbschaft durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht angefochten (7b VI 235/09 AG Oschersleben). Das Landgericht habe aber bereits das Testament vom 14. 2. 1997 nicht anhand der Lebensverhältnisse der Eheleute T. ausgelegt. Es sei nicht anzunehmen, dass Frau T. ihren Ehemann als Vorerben habe beschränken und zum Vermögensverwalter degradieren wollen. Der Kläger habe keine besondere Beziehung zur Erblasserin unterhalten und sei deshalb nur in das eingesetzt worden, was im Nacherbfall noch vorhanden sei. Dementsprechend habe sich Herr T. nie in der Rolle eines nicht befreiten Vorerben gesehen, was zwischen den Parteien unstreitig ist. Nicht anders habe sich der Kläger verhalten.
Den Audi der Erblasserin habe die Beklagte schon deshalb nicht herauszugeben, weil er gutgläubig erworben worden sei.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 10. 4. 2013 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Das Testament lasse sich nicht entgegen dem Wortlaut in eine befreite Vorerbschaft uminterpretieren. Es bringe den Willen zum Ausdruck, das Vermögen der Erblasserin dem Kläger zukommen zu lassen und es vor dem Zugriff des Sohnes des Ehemannes oder einer neuen Ehefrau zu schützen. Das Vermögen der Erblasserin stamme aus dem Verkauf des Grundstücks und sei lange Zeit vom übrigen Vermögen der Ehegatten getrennt gehalten worden. Herr T. sei auf das Vermögen seiner Ehefrau nicht angewiesen gewesen.
Der Audi A3 der Erblasserin sei verschenkt worden, denn die gezahlten 6.000,00 EUR seien über den Erwerb des neuen Audi A3 im Ergebnis wieder an die Beklagte zurückgeflossen. Zumindest ergebe sich der Herausgabeanspruch aus § 816 BGB.
Die Annahme der Erbschaft könne die Beklagte schon mangels Wahrung der Anfechtungsfrist nicht mehr in Frage stellen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und die Sitzungsniederschriften beider Instanzen verwiesen.
II. Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache überwiegend Erfolg. Das Urteil des Landgerichts beruht größtenteils auf der Verletzung materiellen Rechts (§ 513 Abs. 1 ZPO). Zu Recht wendet sich die Beklagte gegen einen als Verbindlichkeit zum Nachlass des Vorerben gehörenden Schadensersatz- oder Wertersatzanspruch des Klägers aus §§ 280 Abs. 1, 2139, 2130 Abs. 1 Satz 1, 2134, 1922 Abs. 1, 1942 Abs. 1, 1967 BGB. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat die Erblasserin den Vorerben u.a. von den Beschränkungen und Verpflichtungen der §§ 2130, 2134 BGB befreit (§ 2136 BGB). Die Herausgabe des Pkw Audi A3 (… später …) kann der Kläger ebenso wenig verlangen. Insoweit hat der Vorerbe nicht im Sinne von § 2113 Abs. 2 Satz 1 BGB unentgeltlich zugunsten der Beklagten verfügt, sondern er verkaufte der Beklagten das Fahrzeug zu einem angemessenen Kaufpreis von 6.000,00 EUR. Ob die Beklagte als testamentarische Erbin des Vorerben dem Kläger wegen weiterer unentgeltlicher Verfügungen über Nachlassgegenstände nach §§ 2138 Abs. 2, 2113 Abs. 2 BGB zum Schadensersatz verpflichtet wäre, kann mit der Wirksamkeit ihrer Anfechtung der Annahme der Erbschaft wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses des Vorerben (§§ 1954, 1955, 119 Abs. 2 BGB) offen bleiben. Soweit Bestandteile des Nachlasses der Frau T. von einer unentgeltlichen Verfügung des Vorerben betroffen waren, geschah dies zum unmittelbaren Vorteil der Beklagten (12.000,00 EUR Erlös aus dem Verkauf des grünen Audi A3 im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Mercedes B200 Turbo durch die Beklagte zum Kaufpreis von 26.990,00 EUR), die sich damit direkt, gleich ob vom Vorerben gutgläubig erworben oder nicht, einem Bereicherungsanspruch aus §§ 812 Abs. 1 Satz 2, 816 Abs. 1 Satz 2, 818 Abs. 2, 2111 Abs. 1 Satz 1, 2113 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 BGB ggf. i.V.m. §§ 433 Abs. 2, 398, 929 Satz 2, 930, 931, 933, 934 Satz 1, 932 Abs. 2 BGB ausgesetzt sieht. Zu verzinsen ist der Vorteil, wie schon vom Landgericht angenommen, ab Rechtshängigkeit (§§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2, 818 Abs. 4 BGB).
1. Hauptsächlich verlangt der Kläger als Nacherbe des Nachlasses der Frau T. Schadensersatz wegen schlechter Verwaltung durch den nicht befreiten Vorerben, weil keine zum Nachlass der Ehefrau gehörenden Gegenstände mehr vorhanden sind (§§ 280, 2130 Abs. 1 Satz 1, 2134, 2131, 2119 BGB). Dieser Anspruch geht selbst beim Untergang des Nachlasses ins Leere, wenn der Vorerbe von den Beschränkungen der §§ 2119, 2130, 2131, 2134 BGB befreit war (Palandt/Weidlich, BGB, 72. Aufl., § 2130 Rdn. 4). Die Herausgabepflicht des befreiten Vorerben beschränkt sich auf die noch vorhandenen Nachlassgegenstände (§§ 2138 Abs. 1 Satz 1, 2137, 2136 BGB).
a) Das Landgericht hat ausgeführt, der Vorerbe sei nicht nach § 2136 BGB befreit gewesen. Die Erblasserin habe im Testament keine der Auslegung zugängliche, insbesondere keine der Auslegungsregel für die Befreiung (§ 2137 BGB) entsprechende Bestimmung getroffen.
Das ist nicht richtig.
b) Der Vorerbe war von der Erblasserin von den Beschränkungen und Verpflichtungen des § 2113 Abs. 1 BGB und der §§ 2114, 2116-2119, 2123, 2127-2131, 2133, 2134 befreit (§ 2136 BGB).
Testamentarische Verfügungen sind stets auszulegen, weil es auf die Ermittlung des wirklichen Erblasserwillens ankommt, der sich nicht nur aus dem (vermeintlich) eindeutigen Wortlaut, sondern aus allen Umständen des Einzelfalls erschließt (BGH NJW 1983, 672, 673). Das gilt insbesondere auch für die Vor- und Nacherbschaft und die Befreiung des Vorerben. Es genügt, wenn der Befreiungswille im Testament irgendwie, wenn auch nur andeutungsweise oder versteckt, zum Ausdruck kommt (BayObLG, Beschluss vom 18. März 2004, 1Z BR 44/03 – zitiert in juris Rdn. 32; Grunsky, in: MünchKomm.-BGB, 5. Aufl., § 2136 Rdn. 2; Palandt/Weidlich, § 2136 Rdn. 5). Insoweit haben sich in der Rechtsprechung Umstände herauskristallisiert, unter denen von einer stillschweigenden Befreiung des Vorerben auszugehen ist. Dazu gehören: das Einsetzen des an der Vermögensbildung beteiligten Ehegatten zum Vorerben, wenn es sich bei dem Nacherben um einen eher entfernten Verwandten handelt (OLG Hamm NJW-RR 1997, 453, 454; Palandt/Weidlich, § 2136 Rdn. 7; Grunsky, § 2136 Rdn. 3; Erman/H.P. Westermann, BGB, 13. Aufl., § 2136 Rdn. 2; Litzenberger, in: BeckOK-BGB, Stand: 1. 5. 2013, § 2136 Rdn. 3; Avenarius, NJW 1997, 2740) oder das Eintreten des Nacherbfalls mit dem Tod des Vorerben oder der Wiederverheiratung (Palandt/Weidlich, § 2136 Rdn. 8; Grunsky, § 2136 Rdn. 3; Erman/H.P. Westermann, § 2136 Rdn. 2; Litzenberger, § 2136 Rdn. 12).
In diesem Sinne hat die Erblasserin verfügt, ohne dass das Landgericht dies zum Anlass nahm, sich mit der nahe liegenden Befreiung des Vorerben auseinander zu setzen. Im Ergebnis spricht alles für und nichts gegen eine Befreiung.
Der Vorerbe und die Erblasserin haben ihren Lebensunterhalt ersichtlich von den Renteneinkünften beider Ehegatten bestritten. Dies erlaubte es der Erblasserin, den Vermögensstamm unangetastet zu lassen. Herr und Frau T. lebten zusammen und standen sich als Ehegatten erfahrungsgemäß nahe. Gegenteilige Anhaltspunkte hat der Senat nicht.. Dagegen handelt es sich beim Kläger, wie er in der mündlichen Verhandlung des Senats bestätigt hat, nicht einmal um den Neffen der Erblasserin. Der Kläger war allein mit dem Vorerben verwandt, bei dem es sich um den Onkel des Klägers handelte. Die nähere persönliche Beziehung der Erblasserin hat danach eindeutig zum Vorerben bestanden, woraus eher auf dessen gewollte Befreiung zu schließen ist (Grunsky, § 2136 Rdn. 3).
Für die Befreiung des Vorerben sprechen noch weitere entscheidende Umstände. Unstreitig ging es der Erblasserin darum, einen Zugriff des Sohnes des Ehemannes aus erster Ehe, mit dem man im Streit lag, auszuschließen. Dessen auch nach dem Vermögen der Erblasserin zu berechnende Pflichtteilsansprüche nach seinem Vater ließen sich nur vermeiden, wenn das Vermögen der zweiten, u.U. vorversterbenden Ehefrau des Herrn T. mit dessen Tod nicht beim Ehemann verblieb, sondern sogleich in einem zweiten Erbgang dem Kläger anfiel. Dazu bedurfte es aber keiner Beschränkung des Vorerben, vielmehr spricht dieses Motiv gerade für dessen Befreiung (OLG Hamm, Beschluss vom 27. April 2010, 15 Wx 234/09 – BeckRS 2010, 18481). Ohne den pflichtteilsberechtigten Abkömmling wäre es nicht zur Anordnung der Vor- und Nacherbschaft gekommen.
Auch das Verhalten des Vorerben, als die der Erblasserin nächste Person, kann für die Prüfung einer Befreiung von Bedeutung sein (OLG Brandenburg, Beschluss vom 19. März 1998, 10 Wx 7/97 – zitiert in juris Rdn. 55). Da nicht ersichtlich ist, dass der Vorerbe den Kläger schädigen wollte oder ihn nicht mochte, gibt es außer einer Befreiung keinen denkbaren Grund, weshalb er so großzügig mit der Erbschaft der Ehefrau umgegangen sein und sich unstreitig als in jeder Hinsicht frei betrachtet haben soll. Das Testament des Vorerben vom 29. 3. 2004 lässt sogar vermuten, dass Herr T. der Nacherbenrolle des Klägers keinerlei Bedeutung beigemessen hat. Dem entspricht auch das Verhalten des Klägers. Zu keinem Zeitpunkt nahm er seine Rechte aus §§ 2121, 2122 oder 2127 BGB gegenüber dem Vorerben wahr.
Auch bei wirtschaftlicher Betrachtung liegt der Wille zur Befreiung des Vorerben auf der Hand. Es mag sein, dass die Eheleute T. das Vermögen der Ehefrau zusammen hielten und separierten. Die daraus getätigten Anschaffungen, zuletzt der Audi A3 und die Wohnung im Stift, kamen aber beiden Ehegatten zugute. Die ihnen zur Verfügung stehende Rente von ca. 3.000,00 EUR monatlich ging wesentlich auf den Vorerben zurück, der damit über die Jahre sicherstellte, dass der Vermögensstamm der Ehefrau unangetastet bleiben konnte. Aus dem Vorhandensein des Vermögens der Ehefrau zum Zeitpunkt ihres Todes und der Anordnung der Nacherbfolge lässt sich schon angesichts der Beiträge des Vorerben und der bis zum Vorerbfall herrschenden Lebensverhältnisse der Ehegatten also keineswegs auf den Willen zum unbedingten Bewahren des Vermögens der Ehefrau für den Kläger schließen. Insoweit sind auch die mit dem Tod der Frau T. eintretenden Einkommenseinbußen zu berücksichtigen, die die Erblasserin bei der Testamentserrichtung sicher sah. Herr T. hatte nur noch ca. 1.700,00 bis 1.800,00 EUR zur Verfügung. Dem standen Wohnkosten von ca. 1.000,00 EUR gegenüber und auch das Auto wollte unterhalten sein. Der Kläger hat Recht, wenn er trotzdem behauptet, den Vorerben habe dies nicht bedürftig und auf das Vermögen der Erblasserin angewiesen werden lassen. Im Alter treten aber häufig besondere Bedürfnisse auf, für die erfahrungsgemäß mit dem Vermögensstamm vorgesorgt wird. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür und wird dem Willen der verfügenden Ehefrau regelmäßig eher widersprechen, dem überlebenden Ehegatten diese Sicherheit zu entziehen und ihn auf die nach Abzug aller Kosten verbleibende Rente zu verweisen. Einen darauf gerichteten Willen der Erblasserin behauptet selbst der Kläger nicht. Vielmehr ist seinem Vorbringen zu entnehmen, dass Herr T. weiter in materieller Sicherheit leben sollte. Für ein sicheres Auskommen war er dann aber auch unter Umständen auf den Nachlass angewiesen, was für eine Befreiung spricht (PWW/Kummer, BGB, 8. Aufl., § 2136 Rdn. 7).
2. Als befreiter Vorerbe hat der Erblasser dem Kläger keinen Wertersatz nach § 2134 Satz 1 BGB zu leisten.
3. Die Herausgabe des silberfarbenen Audi A3 kann der Kläger nicht verlangen. Entgegen der Auffassung des Klägers und des Landgerichts kommt es für die Unentgeltlichkeit i.S.v. § 2113 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht darauf an, dass der von der Beklagten aufgebrachte Kaufpreis von 6.000,00 EUR zum Zeitpunkt des Nacherbfalls nicht mehr im Nachlass vorhanden war. Die Unentgeltlichkeit beurteilt sich nach dem Zeitpunkt der Verfügung (Jauernig/Stürner, BGB, 14. Aufl., § 2113 Rdn. 4; Grunsky, § 2113 Rdn. 34; Erman/H.P. Westermann, § 2113 Rdn. 16). Es ist unstreitig, dass die gezahlten 6.000,00 EUR dem Preis entsprachen, den das Autohaus für die Inzahlungnahme anlässlich des Erwerbs des grünen Audi A3 bot. Damit wurde ein angemessener Preis für das gebrauchte Fahrzeug bezahlt und es liegt keine Unentgeltlichkeit vor.
4. Trotz Befreiung ist der Vorerbe zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er entgegen § 2113 Abs. 2 BGB über einen Erbschaftsgegenstand verfügt (§ 2138 Abs. 2 BGB). Von den Beschränkungen des § 2113 Abs. 2 BGB kann nicht befreit werden (PWW/Kummer, § 2136 Rdn. 4). Dem hat das Landgericht keine Aufmerksamkeit gewidmet, weil es von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt aus betrachtet hierauf nicht mehr ankam.
a) Auch für den Senat ist nicht der Schadensersatzanspruch aus § 2138 Abs. 2 BGB das Entscheidende. Demnach kann auch der Erfolg der Anfechtung der Annahme der Erbschaft durch die Beklagte, also die Ausschlagung (§ 1957 BGB), offen bleiben. Nach dem Ergebnis der Erörterung der Sache mit den Parteien hat die Beklagte unstreitig im Zusammenhang mit dem Erwerb ihres Pkw Mercedes B200 Turbo vom Vorerben zumindest den Erlös aus dem Verkauf des grünen Audi A3 in Höhe von 12.000,00 EUR unentgeltlich zur Verfügung gestellt bekommen. Diesen Vorteil hat sie an den Kläger herauszugeben, ohne dass es darauf ankommt, ob über 2113 Abs. 3 BGB eine endgültig wirksame Verfügung des Vorerben stattgefunden hat. Auch der unmittelbar bevorteilte gutgläubige unentgeltliche Erwerber ist zur Herausgabe des durch die Verfügung des Vorerben Erlangten verpflichtet (§ 816 Abs. 1 Satz 2 BGB).
Der grüne Audi A3 wurde aus Mitteln des Nachlasses der Erblasserin finanziert und gehörte gemäß § 2111 Abs. 1 Satz 1 zur Erbschaft. Teile des damaligen Kaufpreises wurden mit den von der Beklagten für den silberfarbenen Audi A3 gezahlten 6.000,00 EUR, für die § 2111 Abs. 1 Satz 1 BGB ebenso gilt, beglichen. Im Übrigen besaß der Vorerbe kein nicht aus dem Nachlass seiner Ehefrau stammendes Vermögen, das er zur Zahlung des Restkaufpreises des grünen Audi A3 hatte verwenden können.
Das Fahrzeug entzog der Vorerbe dem Nachlass, indem er es der Beklagten ohne Gegenleistung zur Finanzierung des Mercedes B200 zur Verfügung stellte, welchen die Beklagte zu Eigentum erwarb. Wie das Geschäft im Einzelnen abgewickelt wurde und ob sich dabei die Möglichkeit für den Vorerben ergab, zugunsten der Beklagten nacherbfallfest unentgeltlich zu verfügen (§ 2113 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 BGB), kann dahinstehen. Dem Nachlass ging der Kaufpreis von 12.000,00 EUR für die Inzahlungnahme des Audi A3 verloren, was zur Vereitelung des Rechts des Klägers als Nacherbe geeignet war. Entweder wurde die Verfügung des Vorerben mit dem Nacherbfall mit der Folge der Herausgabepflicht der Beklagten aus §§ 812 abs. 1 Satz 2, 818 Abs. 2 BGB unwirksam oder die Verfügung blieb selbst mit dem Eintritt des Nacherbfalls wirksam, sodass die Beklagte das unentgeltlich Erlangte nach §§ 816 Abs. 1 Satz 2, 818 Abs. 2 BGB herauszugeben hat.
b) Weitere unentgeltliche Verfügungen des Vorerben sind, entgegen der Auffassung des Landgerichts, nicht ersichtlich. Dass dem Kläger Kontobewegungen und Vermögensanlagen suspekt erscheinen, macht daraus noch keine unentgeltlichen Verfügungen. Auch wenn das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung ausführt, bei den zwischen dem 11. 3. und 17. 3. 2005 getätigten Wertpapierumsätzen würde es sich im Umfang von 27.762,00 EUR um unentgeltliche Verfügung handeln, ist dem nicht zu folgen. Für das Geld wurden unstreitig Wertpapiere erworben. Dass die Urkunden nicht auffindbar sind, macht das jeweilige Geschäft nicht zu einem unentgeltlichen. Denn die Unentgeltlichkeit muss auch subjektiv gewollt bzw. erkannt worden sein, was beim Erwerb von Wertpapieren bzw. von Geldanlagen nicht der Fall ist. Denn der Zahlung steht ein Anspruch auf das Papier bzw. die verbriefte Leistung gegenüber.
5. Der denkbare Anspruch des Klägers auf Herausgabe des Nachlasses, ist nicht Streitgegenstand. Die Klage ist gegen die Beklagte als Erbin des schadensersatzpflichtigen Vorerben oder unentgeltliche Empfängerin von Surrogaten i.S.v. § 2111 BGB gerichtet. Darüber hinaus trägt der Kläger nichts zur Nachlasszugehörigkeit des Besitzes der Beklagten vor. Sein Ausgangspunkt ist gerade die aufgebrauchte und damit gegen Null gehende Erbschaft.
6. Den Betrag von 12.000,00 EUR hat die Beklagte ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.
7. Die mit dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 4. 11. 2013, insbesondere mit Blick auf § 2138 Abs. 2 Alt. 2 BGB vorgebrachten neuen Angriffsmittel des Klägers sind nach § 296a Satz 1 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen. Sie geben dem Senat auch keinen Anlass, die mündliche Verhandlung nach §§ 296a Satz 2, 156 ZPO wieder zu eröffnen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 Sätze 1 u. 2, 709 Satz 2 ZPO.
Die Revision lässt der Senat nicht zu. Die Sache wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung auf und weder die Fortbildung des Rechts noch die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erfordern die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
Der Streitwert ist nach §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 40, 43 Abs. 1 Satz 1, 45 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG; § 3 ZPO festgesetzt.
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(Testament Auslegung Befreiung des Vorerben)

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