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Ordnet der Erblasser nichts anderes an, so liegt die Totenfürsorge bei seiner Ehefrau
Urteil des AG München vom 11.06.2015
Aktenzeichen: 171 C 12772/15
Kurze Zusammenfassung der Entscheidung:
Wem die Totenfürsorge zufällt, ist nicht gesetzlich geregelt. Gewohnheitsrechtlich liegt die Totenfürsorge daher bei den nächsten Angehörigen. Soweit der Erblasser keinen anderen Willen geäußert hat, obliegt die Totenfürsorge daher in 1. Linie der Ehefrau des Verstorbenen. Nur wenn diese die Totenfürsorge nicht ausüben kann oder will, obliegt die Totenfürsorge den nächsten Verwandten, d. h. zum Beispiel den Kindern des Erblassers.
Im vorliegenden Fall war ein in Bayern geborener und wohnhafter Katholik mit einer türkischstämmigen Ehefrau verheiratet. Die Familie des Erblassers verfügt in Deutschland über ein Familiengrab. Gegenüber seiner Ehefrau äußerte sich der Erblasser dahin, dass er bei seiner Frau in der Türkei bestattet werden will. Seiner Mutter gegenüber gab er an, dass er eine Bestattung im vorhanden Familiengrab wünscht.
Nach dem Tod des Erblassers versuchte dessen Ehefrau die Leiche in die Türkei zu überführen. Dem trat die Mutter des Verstorbenen mit einer einstweiligen Verfügung entgegen. Auf Antrag Ehefrau wurde die einstweilige Verfügung vom Amtsgericht München wieder aufgehoben.
Mit Enturteil vom 11. Juni 2015 stellte das Amtsgericht München fest, dass die Ehefrau im Rahmen des bekannten Willens des Erblassers über den Bestattungsort entscheiden können, da ihr die Totenfürsorge zukommt. Da der Erblasser sich offensichtlich sowohl eine Bestattung in Bayern als auch in der Türkei vorstellen konnte, stand die Entscheidung der Ehefrau, den Erblasser in der Türkei zu bestatten, dessen Willen nicht entgegen. Im Rahmen der Totenfürsorge konnte die Ehefrau daher die Bestattung ihres Ehemanns in der Türkei veranlassen. Die Härte, die diese Entscheidung der Ehefrau für die übrigen Angehörigen des Erblassers darstellen kann, ist aus Sicht des Amtsgerichts München unerheblich, da ausschließlich auf die Totenfürsorge abzustellen ist, die bei der Ehefrau liegt.
(Totenfürsorge Ehefrau Bestattungsort)
Tenor:
1) Der Beschluss des Amtsgerichts München vom 28.05.2015 wird aufgehoben.
2) Die Antragstellerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 2.000,00 € festgesetzt.
(Totenfürsorge Ehefrau Bestattungsort)
Entscheidungsgründe:
Die Parteien streiten über die konkrete Ausgestaltung der Totenfürsorge nach dem Ableben des Herrn … Die Parteien sind sich nicht darüber einig, wo der Leichnam der verstorbenen RM bestattet werden soll.
RM wurde am … 1954 in München geboren. Er wuchs im München bei seinen Eltern auf, gemeinsam mit einer durch die Eltern in die Familie aufgenommenen Pflegetochter, der Zeugin … Die Antragstellerin (AST) ist die Mutter des Verstorbenen, die Zeugin MK wiederum hat eine Tochter, die Zeugin … Zwischen dem Verstorbenen und den Zeuginnen MK und SW bestand kein juristisches Verwandtschaftsverhältnis.
Im Jahre 2011 am 12.05.2011 ehelichte der Verstorbene die Antragsgegnerin (ASG), … Die Ehe hatte bis zum Tod Bestand, die Ehegatten führten einen gemeinsamen Hausstand. Die ASG hat zwei Töchter aus einer vorangegangenen Verbindung, die Zeuginnen …
Sämtliche Beteiligte pflegten regelmäßigen Umgang mit dem Verstorbenen. Der Verstorbene selbst gehörte der katholischen Glaubenskonfession an und war bis zu seinem Ableben nicht in der Türkei. Ein Testament des Verstorbenen existiert nicht. Die ASG plant nun, den Verstorbenen in ihrem Heimatdorf in der Türkei zu bestatten. Sie selbst hat für sich entschieden, ebenfalls dort begraben zu werden.
Zur Chronologie des Verfahrens sei noch angeführt, dass das Gericht am 28.05.2015 ohne mündliche Verhandlung und ohne Anhörung der ASG wegen Dringlichkeit eine Einstweilige Verfügung erlassen hat mit dem Inhalt, dass der ASG die Verbringung des Leichnams in die Türkei untersagt worden ist. Gegen diesen Beschluss hat die ASG frist- und formgerecht Widerspruch eingelegt.
Die AST behauptet, die geplante Bestattung in der Türkei entspreche nicht dem Willen des Verstorbenen. Es sei besprochen gewesen, dass er in dem Familiengrab seiner Mutter in … beerdigt werde. Weiterhin habe sich der Verstorbene eine Feuerbestattung gewünscht. Er habe zu keinen Zeitpunkt den Wunsch geäußert, in der Türkei beerdigt zu werden.
Die AST argumentiert, die ASG sei zwar die Inhaberin des Totenfürsorgerechts, sie habe aber den geäußerten oder mutmaßlichen Willen des Verstorbenen zu respektieren. Da die ASG dies nicht umsetze, stehe der AST ein Anspruch auf Unterlassung der Verbringung des Leichnams ins Ausland zu gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB.
Die AST beantragt, den angegriffenen Beschluss vom 28.05.2015 zu bestätigen.
Die ASG beantragt, den angegriffenen Beschluss vom 28.05.2015 aufzuheben.
Sie behauptet, der Verstorbene habe sich ihr gegenüber dahingehend geäußert, dass er jedenfalls mit ihr gemeinsam in Form einer Erdbestattung beerdigt werden wolle. Die Ehepartner hätten ihre Zukunft dahingehend geplant, regelmäßig längere Zeiträume in der Heimat der ASG in der Türkei zu verbringen. Diese Pläne hätten aufgrund der gesundheitlichen Schwierigkeiten des Verstorbenen nicht mehr umgesetzt werden können.
Das Gericht hat infolge des zulässigen Widerspruchs gegen die Einstweilige Verfügung vom 28.05.2015 eine mündliche Verhandlung mit Beweisaufnahme durchgeführt. Es wurden die AST und die ASG persönlich angehört sowie die Zeugen und Zeuginnen MK, SW, GY, DK sowie … vernommen. Wegen der Angaben der Zeuginnen und Zeugen wird auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 10.06.2015 verwiesen.
Im Übrigen wird wegen des weiteren Sachvortrags und der rechtlichen Argumentation der Parteien auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der zulässige Widerspruch gegen die Einstweilige Verfügung vom 28.05.2015 erweist sich als begründet, die Verfügung war daher aufzuheben.
Das Recht der Totenfürsorge ist gesetzlich nicht geregelt. Ausgehend von den Grundrechten der Menschenwürde und dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit muss es einem Menschen grundsätzlich gestattet sein, über den Verbleib und die weitere Behandlung oder Verwendung seiner sterblichen Überreste selbst zu bestimmen. Diese Überlegung bewegt sich auch im Einklang mit den Grundsätzen des Erbrechts, wonach der Erblasser frei über seinen Nachlass verfügen kann. Der Grundansatz, wonach dem Verstorbenen in erster Linie die Bestimmungshoheit übertragen wird, findet sich auch in anderen gesetzlichen Regelungen, wie etwa dem Bestimmungen über die Organspende.
Die Rechtsprechung überträgt das Recht der Totenfürsorge auf den nächsten Verwandten des Verstorbenen, im hiesigen Fall auf die Ehefrau und ASG. Der Inhaber des Totenfürsorgerechts hat sich im Rahmen des (mutmaßlichen) Willens des Verstorbenen zu bewegen. Innerhalb dieses Rahmens muss dem Inhaber aber ein erheblicher Ermessens- und Beurteilungsspielraum zuerkannt werden. Andernfalls wird die Umsetzung der Totenfürsorge nicht praktikabel sein.
Das Gericht ist nach der Durchführung der Beweisaufnahme der Überzeugung, dass sich die ASG mit ihren Vorstellungen im Rahmen des (mutmaßlichen) Willens des Verstorbenen bewegt. Sowohl die ASG als auch die beiden Zeuginnen DK und GY haben dargestellt, dass sich der Verstorbene dahingehend geäußert habe, dass er mit seiner letzten Ehefrau gemeinsam bestattet werden wolle. Angesichts der Aussagen war dem Verstorbenen auch bewusst, dass dies eine Verbringung und Bestattung seines Leichnams in der Türkei bedeuten würde. Das Gericht hat keine konkreten Anknüpfungstatsachen erkennen können, die für Falschaussagen der genannten Personen sprechen. Zwar ist eine derartige Absprache grundsätzlich vorstellbar. Zwischen der ASG und den beiden Zeuginnen besteht eine enge verwandtschaftliche Beziehung, es handelt sich geradezu um den klassischen Fall von sogenannten Lagerzeuginnen. Eine Absprache wäre auch relativ risikolos vorstellbar, da der Nachweis einer falschen Darstellung regelmäßig nicht zu führen sein wird. Das Gericht hat diese Umstände nicht verkannt und geht dennoch davon aus, dass die ASG und die beiden Zeuginnen das Gericht mit der Wahrheit bedient haben, als sie die Geschehnisse und die Äußerungen des Verstorbenen anläßlich einer familiären Grillfeier im Sommer 2013 geschildert haben. Aus der Sicht des Gerichts spricht ein Aspekt massiv gegen die Annahme einer Absprache mit dem Ziel der Täuschung des Gerichts. Die Zeugin GY hat dargelegt, dass sie sich nicht mehr sicher sei, ob ihre Schwester, die Zeugin DK, überhaupt bei der Unterredung über die Beerdigung zugegen gewesen sei. Wenn sich Beteiligte an einem gerichtlichen Verfahren in Täuschungs- und Manipulationsabsicht zu Falschaussagen absprechen, dann ist regelmäßig nicht zu erwarten, dass die Aussagen sich gegenseitig in ihrem Beweiswert relativieren. Es wäre bei einer kollusiven Absprache sehr ungewöhnlich, wenn die eine Zeugenaussage den Beweiswert der anderen Aussage erheblich belastet.
Das Gericht hat nicht übersehen, dass die AST und die beiden Zeuginnen MK und SW auf der anderen Seite einen abweichenden Willen des Verstorbenen geschildert haben. Das Gericht hat ebenfalls nicht übersehen, dass diese Willensäußerung des Verstorbenen zeitlich nachgehend erfolgt ist. Danach habe der Verstorbene eine Feuerbestattung und eine Beerdigung im Familiengrab in … gewünscht. Das Gericht hat auch insoweit keine tatsächlichen Anknüpfungstatsachen erkennen können, die auf Falschaussagen hindeuten.
Das Gericht geht vielmehr davon aus, dass sich beide Vorgänge wie von den Beteiligten geschildert tatsächlich zugetragen haben. Dies ist ohne weiteres vorstellbar und zwanglos miteinander in Einklang zu bringen. Es ist durchaus denkbar und nicht abwegig, dass sich der Verstorbene bei verschiedenen Anlässen verschiedenen Personen gegenüber abweichend geäußert hat. Es ist durchaus vorstellbar, dass sich der Verstorbene mit verschiedenen Möglichkeiten der Totenfürsorge befasst und angefreundet hat. Für das Gericht entscheidend ist, dass die Alternative, die die ASG nunmehr gewählt hat, nicht im Widerspruch zu den geäußerten Wünschen des Verstorbenen sich bewegt. Sie hält sich im Rahmen dessen, was der Verstorbene sich zu Lebzeiten gewünscht hat. Dabei ist es unschädlich, dass der Verstorbene verschiedene und inhaltlich unterschiedliche Wünsche geäußert hat. Der Verstorbene hat seiner Ehefrau gegenüber und damit der Inhaberin der Totenfürsorge gegenüber einen bestimmten Wunsch geäußert. Er hat sich zwar im weiteren Verlauf anderen ihm auch nahestehenden Personen gegenüber abweichend geäußert. In diesen Äußerungen hat der Verstorbene aber nicht unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass seine zeitlich vorgehend vorgebrachten Vorstellungen nicht mehr in Betracht gezogen werden sollen. Die ASG, die die ihr gegenüber geäußerten Wünsche des Verstorbenen umsetzt, handelt nicht gegen den Willen des Verstorbenen, wenn er – wie hier – nicht klar zum Ausdruck gebracht hat, dass seine Äußerungen keine Relevanz mehr haben sollen.
Dem Gericht ist bewusst, dass diese Entscheidung für die AST eine nur schwer zu ertragende Härte mit sich bringt. Ihr wird es – wenn überhaupt – nur unter erschwerten Bedingungen möglich sein, die Grabstelle ihres Sohnes zu besuchen oder an der Beerdigung selbst teilzunehmen. Dieses Gesichtspunkte sind bedauerlich, aber für die Entscheidungsfindung nicht erheblich. Es ging in diesem Verfahren ausschließlich darum, den erklärten oder mutmaßlichen Willen des Verstorbenen zu ergründen, um dann beurteilen zu können, ob die Ausübung der Totenfürsorge durch die ASG mit diesem Willen in Einklang zu bringen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die nachträglich ergänzte Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 6 ZPO. Gemäß § 3 ZPO hat das Gericht den Streitwert auf 2.000,00 Euro bestimmt.
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