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Erbschaftsteuer und Anfechtung der Erbschaftsannahme – OLG Hamm vom 04.11.2021 – 10 W 125/21
(Erbschaftsteuer und Anfechtung der Erbschaftsannahme)
Beschluss des OLG Hamm vom 04.11.2021
Aktenzeichen: 10 W 125/21
(Erbschaftsteuer und Anfechtung der Erbschaftsannahme)
Kurze Zusammenfassung der Entscheidung
Die Entscheidung des OLG Hamm beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit ein Irrtum über die Höhe der Erbschaftsteuer zur Anfechtung der Annahme der Erbschaft berechtigt.
Im vorliegenden Fall hinterließ der Erblasser einen Bruder und seine Mutter. Beide wurden mit einer Quote von jeweils 1/2 Erben des Erblassers. Die Erben beantragten im Weiteren einen gemeinschaftlichen Erbschein.
Nach Erteilung des Erbscheins erklärte der Bruder des Erblassers die Anfechtung der Annahme der Erbschaft und erklärte deren Ausschlagung.
Die Anfechtung wurde seitens des Bruders des Erblassers damit begründet, dass er sich zum Zeitpunkt der Annahme der Erbschaft über die Höhe der ihn belastenden Erbschaftsteuer geirrt habe. Die Anfechtungserklärung wurde vom Nachlassgericht wie ein Antrag auf Einziehung des bereits erteilten Erbscheins behandelt. Dieser Antrag wurde vom Nachlassgericht zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung wandte sich der Miterbe im Wege der Beschwerde. Das OLG Hamm half der Beschwerde nicht ab.
Bei der Annahme der Erbschaft hatte der Bruder offensichtlich übersehen, dass er das Vermögen des Erblassers zu einem wesentlich günstigeren Erbschaftsteuersatz erlangen kann, wenn zuvor die Mutter Alleinerbin wird und er später das Vermögen der Mutter erbt, zu dem dann der Nachlass des Bruders gehört.
Das OLG Hamm ging bei seiner Entscheidung davon aus, dass diese mittelbare Wirkung der Annahme der Erbschaft nicht zur Anfechtung der Annahme der Erbschaft nach § 1954 Abs. 1, § 119 Abs. 1 BGB berechtigt. Das OLG Hamm stuft den Irrtum des Bruders des Erblassers vielmehr als sogenannten unbeachtlichen Motivirrtum ein, der zur Anfechtung der Annahme der Erbschaft nicht ausreicht. Folglich bestätigte das OLG Hamm die Entscheidung des Nachlassgerichtes.
Die Entscheidung des OLG Hamm bestätigt die praktische Erfahrung, dass ab einer bestimmten Werthaltigkeit des Nachlasses steuerrechtliche Überlegungen bei der Entscheidung über die Frage, ob eine Erbschaft ausgeschlagen oder angenommen werden soll, zwingend mit einbezogen werden müssen, um erhebliche wirtschaftliche Nachteile im Zusammenhang mit der Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft zu vermeiden.
(Erbschaftsteuer und Anfechtung der Erbschaftsannahme)
Tenor:
1) Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) vom 20.09.2021 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Arnsberg vom 15.09.2021 wird zurückgewiesen.
2) Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Beteiligten zu 1) auferlegt.
3) Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
4) Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 140.000 € festgesetzt.
Urteilsgründe:
I. Der Beteiligte zu 1) ist der Bruder, die Beteiligte zu 2) die Mutter des ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung zwischen dem 00. und 00.00.2021 verstorbenen Erblassers A.
Auf Antrag des Beteiligten zu 1) vom 21.07.2021 und nach Anhörung der Beteiligten zu 2) erteilte das Amtsgericht – Nachlassgericht – Arnsberg unter dem 04.08.2021 einen Erbschein, nach dem der Erblasser von den Beteiligten je zu 1/2 beerbt worden ist.
Am 17.08.2021 erklärte der Beteiligte zu 1) in notariell beglaubigter Form die Anfechtung der Erbschaftsannahme wegen Irrtums gem. §§ 1954 Abs. 1, 119 Abs. 1 BGB mit der Begründung, im Zeitpunkt der Beantragung des Erbscheins sei er von wesentlich anderen Steuerfreibeträgen zu seinen Gunsten bzgl. der Erbschaft nach seinem Bruder ausgegangen. Der Notar reichte die Anfechtungserklärung am Folgetag bei dem Nachlassgericht ein und bat um Benachrichtigung, dass gegen die Beantragung eines neuen Erbscheins durch die Beteiligte zu 2) keine Bedenken bestünden.
Das Nachlassgericht legte dies als Antrag auf Einziehung des Erbscheins vom 04.08.2021 aus, den es mit Beschluss vom 14.09.2021 zurückwies. Zur Begründung ist ausgeführt, bei dem Irrtum über die Höhe der Erbschaftssteuer handele es sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum, so dass der richtige Erbschein nicht einzuziehen sei.
Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 1) mit seiner Beschwerde vom 20.09.2021. Er ist der Ansicht, ein Irrtum über die Rechtsfolgen der Annahme oder Anfechtung der Erbschaft sei ein beachtlicher Irrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 BGB.
Mit Beschluss vom 24.09.2021 hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II. Die nach § 58 Abs. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Nachlassgericht die sinngemäß beantragte Einziehung des Erbscheins vom 04.08.2021 abgelehnt, weil dieser nicht unrichtig im Sinne des § 2361 S. 1 BGB ist.
1. Der Erbschein ist nicht durch die am 17.08.2021 erklärte Anfechtung der Erbschaftsannahme unrichtig geworden, denn ein Grund, der den Beteiligten zu 1) zur Anfechtung der Erbschaftsannahme berechtigen würde, liegt nicht vor, insbesondere befand sich der Beteiligte zu 1) am 21.07.2021 nicht in einem relevanten Rechtsfolgenirrtum.
Zwar kann ein Inhaltsirrtum nach § 119 Abs. 1., 1. Alt. BGB auch darin gesehen werden, dass der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern solche, die sich davon unterscheiden. Ein derartiger Rechtsirrtum berechtigt nach ständiger Rechtsprechung jedoch nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum (BGH, Urteil vom 29.06.2016, IV ZR 387/15, NJW 2016, 2954 ff. m. w. N.).
Indem der Beteiligte zu 1) nach eigenen Angaben über die Höhe des zu seinen Gunsten greifenden Steuerfreibetrages zum einen nach dem Tod des Erblassers – seinem Bruder – als auch nach dem dereinstigen Ableben der Beteiligten zu 2) – seiner Mutter – irrte, irrte er nicht über den Eintritt wesentlich anderer Rechtsfolgen, sondern nur über die Höhe der ihn treffenden Erbschaftssteuer als einer mittelbaren Rechtswirkung. Er irrte nach den ergänzenden Ausführungen im Schriftsatz vom 21.10.2021 darüber, dass es für ihn steuerlich günstiger gewesen wäre, die Erbschaft nach seinem Bruder auszuschlagen, damit diese der gemeinsamen Mutter zufällt, um nach deren künftigen Tod als deren Alleinerbe deutlich höhere Steuerfreibeträge in Anspruch nehmen zu können. Ein solcher Irrtum über die günstigste steuerliche Gestaltung bei Annahme einer Erbschaft stellt jedoch keinen zur Anfechtung der Erbschaftsannahme berechtigenden relevanten Rechtsfolgenirrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 BGB dar (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.12.2019, 20 W 325/09, Rn. 9).
Mangels eines zur Anfechtung berechtigenden Grundes hat die Anfechtungserklärung nicht die Wirkung des § 1957 Abs. 1 BGB erzeugt, so dass der Beteiligte zu 1) weiter Miterbe seines Bruders zu 1/2 neben der Beteiligten zu 2) ist.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die hierfür nach § 70 Abs. 2 FamFG erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.
Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GNotKG und den Angaben des Beteiligten zu 1) zur Höhe des Nachlasswertes in dem Wertermittlungsbogen vom 10.09.2021.
(Erbschaftsteuer und Anfechtung der Erbschaftsannahme)