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Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 05.06.2024, Az.: 6 W 56/24
Tatbestand Zusammenfassung:
Im vorliegenden Fall des Oberlandesgerichts Celle geht es um die Anordnung und Aufhebung einer Nachlasspflegschaft sowie die Wirksamkeit eines Widerrufs in einem gemeinschaftlichen Testament. Die Erblasserin, S. S., hinterließ ein notariales gemeinschaftliches Testament aus dem Jahr 2006, in dem ihr Ehemann, der Beteiligte zu 1, als Alleinerbe eingesetzt wurde. Später errichtete sie ein notarielles Einzeltestament vom 8. Juni 2022, in dem der Beteiligte zu 2 als Alleinerbe benannt wurde. Am selben Tag widerrief sie notariell ihre frühere Verfügung aus dem gemeinschaftlichen Testament.
Der Beteiligte zu 1 stellte am 15. Januar 2024 einen Antrag auf Nachlasspflegschaft und Kontensperrung, da die Erbenstellung unklar sei. Das Amtsgericht ordnete daraufhin eine Nachlasspflegschaft an, die jedoch später auf Beschwerde des Beteiligten zu 2 wieder aufgehoben wurde. Der Beteiligte zu 1 legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein, mit der er eine erneute Nachlasspflegschaft forderte, um den Nachlass zu sichern.
Ein zentraler Streitpunkt war, ob der Widerruf des gemeinschaftlichen Testaments wirksam war. Der Beteiligte zu 1 argumentierte, dass der Widerruf ihm lediglich in Form einer beglaubigten Abschrift, nicht jedoch als erforderliche Ausfertigung zugestellt worden sei. Später erfolgte die Zustellung der Ausfertigung erst nach dem Tod der Erblasserin und somit zu einem Zeitpunkt, zu dem der überlebende Ehegatte nicht mehr mit einem Widerruf rechnen musste.
Urteilsgründe Zusammenfassung:
Das Oberlandesgericht Celle wies die Beschwerde des Beteiligten zu 1 zurück und bestätigte die Aufhebung der Nachlasspflegschaft. Das Gericht führte aus, dass die Voraussetzungen für eine Nachlasspflegschaft gemäß § 1960 BGB nicht vorlägen, da der Erbe bekannt sei und keine weiteren Ermittlungen erforderlich seien.
Das Gericht stellte klar, dass für die Wirksamkeit eines Widerrufs in einem gemeinschaftlichen Testament der Zugang einer Ausfertigung der notariellen Widerrufserklärung erforderlich sei. Die bloße Zustellung einer beglaubigten Abschrift genüge nicht. Die spätere Zustellung der Ausfertigung nach dem Tod der Erblasserin konnte die Wirksamkeit des Widerrufs nicht mehr herbeiführen, da dies zu einer unzumutbaren Belastung des überlebenden Ehegatten geführt hätte.
Das Gericht betonte, dass die Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Testaments den überlebenden Ehegatten schützt und ein Widerruf nach dem Tod des Erstversterbenden nur unter engen Voraussetzungen wirksam ist. Im vorliegenden Fall war der Beteiligte zu 1 aufgrund der Umstände berechtigt, sich auf die Fortgeltung des gemeinschaftlichen Testaments zu berufen. Die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2 im Einzeltestament war daher unwirksam.
Analyse der Urteilsgründe:
1. Juristische Frage:
War der Widerruf der wechselbezüglichen Verfügung im gemeinschaftlichen Testament wirksam, obwohl die erforderliche Ausfertigung erst nach dem Tod der Erblasserin zugestellt wurde?
Begründung:
Das Gericht führte aus, dass der Zugang einer Ausfertigung der notariellen Erklärung erforderlich ist, um die Wirksamkeit einer empfangsbedürftigen Willenserklärung zu begründen. Der Widerruf wurde jedoch zunächst nur in Form einer beglaubigten Abschrift zugestellt, was nicht ausreichend war. Nach dem Tod der Erblasserin erfolgte die Zustellung der Ausfertigung zu einem Zeitpunkt, zu dem der Beteiligte zu 1 nicht mehr mit einem Widerruf rechnen musste. Die verspätete Zustellung konnte daher keine Wirksamkeit mehr entfalten.
Ergebnis:
Der Widerruf war unwirksam, da er nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprach. Der überlebende Ehegatte blieb Alleinerbe nach dem gemeinschaftlichen Testament.
2. Juristische Frage:
Kann eine Nachlasspflegschaft angeordnet werden, wenn die Erbenstellung rechtlich geklärt ist?
Begründung:
Gemäß § 1960 BGB kann eine Nachlasspflegschaft nur angeordnet werden, wenn der Erbe unbekannt ist oder die Erbschaftsannahme ungewiss ist. Im vorliegenden Fall war der Beteiligte zu 1 nach dem gemeinschaftlichen Testament als Erbe feststellbar, und keine umfangreichen Ermittlungen waren erforderlich.
Ergebnis:
Die Nachlasspflegschaft war nicht erforderlich, da der Erbe bekannt und die Erbschaftsannahme gesichert war.
3. Juristische Frage:
Können Formmängel eines Widerrufs durch Treu und Glauben überwunden werden?
Begründung:
Das Gericht betonte, dass § 242 BGB nur auf Formmängel anwendbar ist, nicht jedoch auf den fehlenden Zugang einer empfangsbedürftigen Erklärung. Im vorliegenden Fall fehlte der Zugang der notariellen Ausfertigung, weshalb keine wirksame Erklärung vorlag.
Ergebnis:
Ein Verzicht auf den Zugang oder eine Heilung des Mangels war nicht möglich, der Widerruf blieb unwirksam.
4. Juristische Frage:
Welche Bedeutung hat die zeitliche Verzögerung bei der Zustellung eines Widerrufs?
Begründung:
Das Gericht stellte fest, dass ein Widerruf zeitnah nach seiner Erklärung zugestellt werden muss, um Rechtsklarheit zu schaffen. Eine Zustellung, die erst nach dem Tod des Erklärenden erfolgt, verstößt gegen den Vertrauensschutz des Empfängers.
Ergebnis:
Die zeitliche Verzögerung führte dazu, dass der Widerruf nicht wirksam wurde.
5. Juristische Frage:
Hat die Erbeinsetzung im Einzeltestament Vorrang vor dem gemeinschaftlichen Testament?
Begründung:
Nach § 2271 Abs. 1 BGB sind wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament bindend, wenn nicht wirksam widerrufen. Da der Widerruf unwirksam war, blieb das gemeinschaftliche Testament maßgeblich.
Ergebnis:
Das Einzeltestament war unwirksam, da es die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments verletzte.
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