Transmortale Vollmacht statt Erbschein – KG Berlin – Beschluss vom 02. März 2021 – Az. 1 W 1503-20

Transmortale Vollmacht statt Erbschein - KG Berlin - Beschluss vom 02-03-2021 Az. 1 W 1503-20 - Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht Detlev Balg Köln

Stichworte: Transmortale Vollmacht statt Erbschein

Entscheidendes Gericht: KG Berlin

Urteil/Beschluss vom: 2. März 2021

Aktenzeichen: 1 W 1503/20

Kurze Zusammenfassung der Entscheidung:

Der Erblasser hatte einem seiner Erben eine notariell beurkundete transmortale Vollmacht erteilt. Zum Nachlass des Erblassers gehörte eine Immobilie. Nach dem Erbfall wurde die transmortale Vollmacht von keinem der Beteiligten widerrufen.
Der Bevollmächtigte beantragte sodann nach dem Erbfall beim Grundbuchamt die Korrektur des Grundbuches, d. h. die Eintragung der Erben als neue Eigentümer der Immobilie in Erbengemeinschaft. Das Grundbuchamt entsprach dem Antrag nicht und verlangte die Vorlage eines Erbscheins. Gegen diese Entscheidung des Grundbuchamtes legte der Antragsteller Beschwerde ein.
Das Kammergericht Berlin entsprach der Beschwerde und wies das Grundbuchamt an, die beantragte Grundbuchkorrektur ohne Vorlage eines Erbscheins zu veranlassen.
Gegen der Rechtsprechung des OLG München und des OLG Hamm stellte das Kammergericht Berlin klar, dass durch die Vorlage der notariell beurkundeten transmortalen Vollmacht die Berechtigung des Antragstellers nachgewiesen ist. Der Nachweis ergibt sich unmittelbar aus der transmortalen Vollmacht selbst. Es kommt nicht darauf an, wer tatsächlich Erbe ist. Entscheidend ist ausschließlich die Tatsache, dass sich aus der transmortalen Vollmacht die Berechtigung zu Beantragung der Grundbuchkorrektur ergibt und im konkreten Fall keine Zweifel am Fortbestand der Vollmacht nach dem Erbschein bestanden.
Aus der Entscheidung ergibt sich, dass eine formwirksam errichtete transmortale Vollmacht im Grundbuchverfahren geeignet sein kann, einen Erbschein zu ersetzen. Sie macht aber auch deutlich, dass im Falle von Unstimmigkeiten zwischen den Mitglieder einer Erbengemeinschaft eine transmortale Vollmacht widerrufen werden muss, wenn verhindert werden soll, dass mit Hilfe einer solchen Vollmacht eine Grundbuchkorrektur veranlasst wird.

Leitsatz und Tenor:

Leitsatz:

Eine transmortale Vollmacht des eingetragenen Berechtigten genügt zum Nachweis der (Vertretungs-) Macht des Bevollmächtigten auch dann, wenn dieser erklärt, Alleinerbe des Vollmachtgebers zu sein; es bedarf keines Nachweises der Erbfolge in der Form des § 35 Abs. 1 GBO (Fortführung von Senat, Bes. v. 22. Oktober 2020 – 1 W 1357/20, MDR 2021, 162; entgegen OLG Hamm, Bes. v. 10. Januar 2013 – I-15 W 79/12, FGPrax 2013, 148 und OLG München, Bes. v. 31. August 2016 – 34 Wx 273/16, NJW 2016, 3381).

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten wird die Zwischenverfügung des Amtsgerichts Köpenick vom 3. September 2020 aufgehoben.

Entscheidungsgründe:

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 71 ff. GBO) und begründet. Die Zwischenverfügung ist nicht gemäß § 18 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GBO veranlasst. Das aufgezeigte Eintragungshindernis besteht nicht. Für die Eintragung der Vormerkung zu Gunsten der Beteiligten zu 2) und 3) muss nicht in der Form des § 35 Abs. 1 GBO nachgewiesen werden, dass die Beteiligte zu 1) Alleinerbin des am … 2014 verstorbenen W… ist. Mit ihren Erklärungen vom 16. März 2020 (UR-Nr. 168/2020 des Notars …) und 17. August 2020 (UR-Nr. 520/2020 des Notars …) liegt eine hinreichende Bewilligung gemäß § 19 GBO, § 885 Abs. 1 S. 1 BGB vor. Das folgt aus der in Bezug genommenen Generalvollmacht, die W… der Beteiligten zu 1) am 13. September 2004 über seinen Tod hinaus erteilte (UR-Nr. 617/2004 des Notars …).
Die Eintragung ist von demjenigen zu bewilligen, der Eigentümer des Grundstücks ist; die Bewilligungsbefugnis folgt der Verfügungsbefugnis, hier nach § 903 S. 1 BGB. Soweit W… als Eigentümer zu 1/2 gebucht ist, sind seine Erben bewilligungsbefugt (§ 891 Abs. 1, § 1922 Abs. 1 BGB). Die Beteiligte zu 1) erklärte die Bewilligung in der UR-Nr. 520/2020 namens der Erben. Verweist der Erklärende – wie hier – auf eine transmortale Vollmacht, gibt er die Erklärung im Namen der Erben des Vollmachtgebers ab (vgl. BGH, NJW 1983, 1487, 1489; Palandt/Weidlich, BGB, 80. Aufl., v. § 2197 Rn. 3) – unabhängig davon, wer tatsächlich Erbe ist bzw. in einem Erbschein als Erbe bezeichnet (§ 2365 BGB) oder durch ein Urteil (regelmäßig nicht mit Wirkung für jedermann, §§ 325 ff. ZPO) als Erbe festgestellt wird (Amann, MittBayNot 2013, 367, 371; Herrler, DNotZ 2017, 508, 523; vgl. auch OLG Frankfurt a.M., ZEV 2015, 648, 649). Ist der Handelnde Alleinerbe, gibt er die Erklärung (nur) im eigenen Namen ab. Ist er Miterbe, gibt er die Erklärung auch im eigenen Namen ab (§ 2040 Abs. 1 BGB); weder der Nachlass noch die Erbengemeinschaft sind rechtsfähig (Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2032 Rn. 1).
Mit der Ausfertigung der UR-Nr. 617/2004 ist gemäß § 29 Abs. 1 S. 1 GBO nachgewiesen, dass die Erklärung der Beteiligten zu 1) in der UR-Nr. 520/2020 für und gegen die – beliebigen – Erben des W… wirkt. Dem steht nicht entgegen, dass die Beteiligte zu 1) in der UR-Nr. 168/2020 erklärt hatte, Alleinerbin zu sein. Eine transmortale Vollmacht des eingetragenen Berechtigten genügt zum Nachweis der (Vertretungs-) Macht des Bevollmächtigten auch dann, wenn dieser erklärt, Alleinerbe des Vollmachtgebers zu sein; es bedarf keines Nachweises der Erbfolge in der Form des § 35 Abs. 1 GBO (LG Bremen, Rpfleger 1993, 235; Palandt/Ellenberger, a.a.O., § 168 Rn. 4; a.A. OLG Hamm, FGPrax 2013, 148; OLG München, NJW 2016, 3381). Sollte sich aus dem Beschluss des Senats KGJ 43, 157 anderes ergeben, wird daran nicht festgehalten.
Zum einen erlischt die Vollmacht nicht ohne weiteres, wenn der Vertretene und der Vertreter in einer Person zusammenfallen. Es mag begrifflich ausgeschlossen sein, sich selbst zu vertreten (a.A. KEHE/Volmer, Grundbuchrecht, 7. Aufl., § 35 GBO Rn. 26 unter Verweis auf § 1698b BGB). Dennoch ist die vom Erblasser abgeleitete Befugnis als fortbestehend zu behandeln, wenn dies berechtigte Interessen gebieten (vgl. zur Konfusion BGH, NJW-RR 2009, 1059, 1060; Palandt/Grüneberg, a.a.O., v. § 362 Rn. 4 m.w.N.). Das ist der Fall, soweit die Vollmacht dem Bevollmächtigten materiell- oder verfahrensrechtlich weitergehende Befugnisse und Handlungsmöglichkeiten eröffnet, als sie dem Alleinerben zur Verfügung stehen, und keine schutzwürdigen Interessen Dritter oder des Rechtsverkehrs gegen das Fortbestehen der Vollmacht sprechen (Herrler, a.a.O., S. 520 f.). So ist anerkannt, dass der (sich selbst vertretende) Alleinerbe auf Grund einer Vollmacht des Erblassers handeln kann, wenn er der Beschränkung durch einen Testamentsvollstrecker (§ 2211 Abs. 1, § 2205 BGB) unterliegt (OLG München, FamRZ 2013, 402; Palandt/Weidlich, a.a.O., v. § 2197 Rn. 12; Staudinger/Reimann, BGB, Bearb. 2016, v. § 2197 Rn. 86). Gleiches soll wegen der gesamthänderischen Bindung für den bevollmächtigten Miterben gelten (OLG Celle, FamRZ 2020, 131; OLG Schleswig, Rpfleger 2015, 9). Die fortwirkende Vollmacht eröffnet dem Erben im Grundbuchverfahren weitergehende Handlungsmöglichkeiten, da ein Nachweis der Rechtsnachfolge (§ 35 Abs. 1 BGB) und entsprechend § 40 Abs. 1 Alt. 2, Abs. 2 GBO eine Voreintragung (§ 39 Abs. 1 GBO) in jedem Fall entbehrlich sind (Senat, MDR 2021, 162).
Zum anderen muss die Erbfolge selbst dann nicht in der Form des § 35 Abs. 1 GBO nachgewiesen werden, wenn die Vollmacht durch die Personenidentität von Vertretenem und Vertreter unwirksam würde. Die Legitimationswirkung der Vollmachtsurkunde (§ 172 BGB) kann nur entfallen (§ 173 BGB), wenn die Beteiligte zu 1) tatsächlich Alleinerbin des W… ist. Das belegt ihre bloße Mitteilung nicht. Zweifeln am Fortbestand der Vollmacht muss und darf das Grundbuchamt nur nachgehen, wenn ihr Erlöschen Auswirkungen auf die gesetzlichen Voraussetzungen der Eintragung – hier die Wirksamkeit der Bewilligung nach § 19 GBO – haben kann. Das ist zu verneinen. Die Bewilligungserklärung ist dem bewilligungsbefugten Erben in jedem Fall zuzurechnen, entweder der Beteiligten zu 1) aus eigener Rechtsmacht oder einer anderen Person gemäß § 164 Abs. 1, § 167 Abs. 1 BGB. Eine dritte Möglichkeit ist bei dem in Rede stehenden Erlöschensgrund nicht gegeben. Eintragungshindernde Umstände oder unterschiedliche „Erwerbsgründe“ (s. dazu Bestelmeyer, FGPrax 2016, 208 f.; 2017, 65) liegen nicht vor. Insbesondere geht es nicht um eine gemäß § 20 GBO zu prüfende Auflassung, die der potentielle Alleinerbe an sich selbst erklärt (vgl. den Sachverhalt OLG München, FGPrax 2016, 205); einen Vertrag mit sich selbst kann niemand schließen (BGH, NJW 2000, 1033).
Es dürfen keine Nachweise verlangt werden, auf die es für die Eintragung nicht ankommt (Amann, a.a.O.; Herrler, a.a.O., S. 531; Keim, MittBayNot 2017, 111, 113; Böttcher, NJW 2018, 831, 835). Die Nachweisanforderungen des Grundbuchverfahrens sind kein Selbstzweck, sondern sollen verlässliche Eintragungsgrundlagen sicherstellen und die Prüfung der Eintragungsvoraussetzungen in standardisierten Verfahren ohne einzelfallbezogene Beweiswürdigung ermöglichen (Senat, NJW-RR 2020, 990 Rn. 21). Dem ist aus den genannten Gründen mit der formgerechten Vollmachtsurkunde (§ 47 BeurkG) Genüge getan.
Für die Eintragungen zu Gunsten der Beteiligten zu 4) und 5) gilt entsprechendes. Selbst für die Buchung der Grundschuld bedarf es keiner Aufklärung der Erbfolge, weil eine Voreintragung analog § 40 Abs. 1 Alt. 2, Abs. 2 GBO entbehrlich ist. Hierzu wird auf den Beschluss des Senats MDR 2021, a.a.O., verwiesen, der dem Grundbuchamt auch bei seiner Nichtabhilfeentscheidung nicht bekannt sein konnte.