Behindertentestament – Pflichtteilsverzicht

Regelmäßig wird bei der Errichtung eines Behindertentestamentes versucht, den Anteil des behinderten Kindes am Nachlass durch entsprechende testamentarische Anordnungen zu reduzieren. Testamente, mit denen solche Anordnungen getroffen werden, stoßen dort an ihre Grenze, wo sie Pflichtteilsansprüche zu Gunsten des behinderten Kindes auslösen.
Problematisch sind diese Gestaltungen nicht bereits deshalb, weil sie zu Pflichtteilsansprüchen zu Gunsten des behinderten Kindes führen, sondern weil diese Pflichtteilsansprüche vom Träger der Sozialhilfe, die zugunsten des behinderten Kindes gezahlt wird, auf sich überleiten werden können. Damit kommt der sich aus der testamentarischen Gestaltung ergebende Pflichtteilsanspruch nicht dem behinderten Kind, sondern dem Träger der Sozialhilfe zugute.
Auf dem Hintergrund der Gefahr der Überleitung von Pflichtteilsansprüchen auf den Träger der Sozialhilfe ist zu überlegen, wie sich solche Pflichtteilsansprüche eventuell von vornherein verhindern lassen.
Pflichtteilsansprüche die aufgrund einer testamentarischen Anordnung im Augenblick des Erbfalls entstehen, können vom Träger Sozialhilfe auf sich übergeleitet werden. Sind die Pflichtteilsansprüche also einmal entstanden, lassen sich die sozialrechtlichen Konsequenzen im Regelfall nicht mehr verhindern. Hieraus folgt, dass bereits vor dem Erbfall Anordnungen getroffen werden müssen, die zu Lebzeiten des Erblassers das Entstehen von Pflichtteilsansprüchen ausschließen.
Aus den erbrechtlichen Vorschriften ergibt sich nur eine Möglichkeit, wirksam vor dem Erbfall die Überleitung von Pflichtteilsansprüchen nach dem Erbfall auf den Träger Sozialhilfe zu verhindern. Es handelt sich hierbei um den sogenannten Pflichtteilsverzicht.

Pflichtteilsverzichtsvertrag zwischen den Erblassern und dem behinderten Kind

Bei einem Pflichtteilsverzicht handelt es sich um eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem Erblasser und dem pflichtteilsberechtigten gesetzlichen Erben, mit dem der pflichtteilsberechtigte gesetzliche Erbe auf seine Pflichtteilsansprüche gegenüber dem Erblasser verzichtet. Im Zusammenhang mit der Anordnung testamentarischer Verfügungen zugunsten eines Behinderten muss somit im Wege eines Pflichtteilsverzichtsvertrages das Pflichtteilsrecht des behinderten Kindes ausgeschlossen werden, sodass im Erbfall Pflichtteilsansprüche nicht entstehen und folglich auch nicht auf den Träger der Sozialhilfe übergeleitet werden können.

Geschäftsfähigkeit des Kindes

Da der Pflichtteilsverzicht somit im Rahmen einer vertraglichen Vereinbarung erklärt wird, kommt er nur in Betracht, wenn der behinderte Abkömmling geschäftsfähig ist. Eine geistige Behinderung des Kindes, die seine Geschäftsunfähigkeit zur Folge haben, schließt daher eine entsprechende vertragliche Vereinbarung über dem Pflichtteilsverzicht zwischen dem Erblasser und dem behinderten Abkömmling aus.

Vertragsabschluss zu Lebzeiten der Erblasser, d.h. der Eltern

In allen anderen Fällen, d. h. in den Fällen, in denen das behinderte Kind bereits volljährig und uneingeschränkt geschäftsfähig ist, können die Erblasser, d. h. konkret die Eltern des Kindes, mit dem Kind rechtsverbindlich eine Vereinbarung über den Verzicht auf die Pflichtteilsansprüche des Kindes gegenüber seinen Eltern abschließen. Damit ist es ausgeschlossen, dass durch die weitergehenden testamentarischen Anordnungen zu Gunsten des Kindes ein Pflichtteilsanspruch ausgelöst wird, den der Träger der Sozialhilfe im Weiteren auf sich überleiten kann.
Folglich ist im Zusammenhang mit der Errichtung eines Behindertentestamentes immer zu überprüfen, ob die Möglichkeit besteht, einen solchen Pflichtteilsverzichtsvertrag abzuschließen.

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