Beschluss des OLG Nürnberg vom 08.05.2012

Erbrecht-Pflichtteilsentzug | Entwickelt sich das Verhältnis zwischen dem Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigten wieder zur Normalität liegt eine Verzeihung vor

Aktenzeichen: 12 U 2016/11

Der wesentliche Inhalt der Entscheidung (Zusammenfassung):

Im vorliegenden Fall hatte der Pflichtteilsberechtigte mehrere Straftaten begangen. In der Folge wurde dem Pflichtteilsberechtigte vom Erblasser der Pflichtteil entzogen. Nach der Haftentlassung normalisierte sich das Verhältnis zwischen dem Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigten wieder. Der Pflichtteilsberechtigte vertrat nach dem Tod des Erblassers die Rechtsauffassung, dass der Pflichtteilsentzug aufgrund der Normalisierung der persönlichen Beziehung zum Erblasser seine Grundlage verloren hat. Das OLG Nürnberg musste sich mit der Frage beschäftigen, ob diese Normalisierung des persönlichen Verhältnisses zwischen dem Pflichtteilsberechtigten und dem Erblasser als Verzeihung im Sinne des Pflichtteilsrechtes zu werten ist.

(Pflichtteilsentzug)

Kurzbesprechung der Entscheidung:

Das OLG Nürnberg stellt darauf ab, dass es sich bei der Verzeihung nicht um eine rechtsgeschäftliche Erklärung handelt. Die Verzeihung stellt vielmehr nur ein unwiderrufliches, tatsächliches Verhalten dar, welches durch schlüssige Handlungen gezeigt werden kann. Hierfür genügt es, dass der Erblasser sich gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten in dem Bewusstsein verhält, dass dieses Verhalten moralisch als Verzeihung gewertet werden kann. Die Verzeihung stellt sich somit als ein nach außen erkennbarer Entschluss des Erblassers dar, dass der Erblasser aus dem Fehlverhalten seines pflichtteilsberechtigten Abkömmlings keine Konsequenzen mehr ableiten will.
Im konkreten Fall hatten der Erblasser und sein pflichtteilsberechtigter Abkömmling wieder persönlichen Kontakt zueinander aufgenommen. Der Erblasser äußerte sich im Weiteren dahin, dass er seinen Sohn wieder testamentarisch bedenken will und beabsichtigt, ihm eine Immobilie zu finanzieren, damit der Sohn in die Nähe des Erblassers ziehen kann. Diese äußeren Umstände deuten nach den allgemeinen moralischen Vorstellungen darauf hin, dass der Erblasser dem Abkömmling gegenüber aus dem schweren Fehlverhalten keine Konsequenzen mehr ziehen will und folglich die Grundlagen für den Pflichtteilsentzug entfallen sind.
Für die Prozessführung bedeutet dies, dass der enterbte Abkömmling, dem testamentarisch auch der Pflichtteil entzogen wurde, die Umstände darlegen und beweisen muss, aus denen abgeleitet werden kann, dass der Erblasser sein Verhältnis zum Abkömmling wieder normalisiert hat, um seinen Pflichtteilsanspruch durchsetzen zu können. Hinsichtlich der subjektiven Vorstellungen des Erblassers ist der Abkömmling hingegen nicht darlegungs- und beweispflichtig. Damit ist in einem entsprechenden Prozess auf die objektiven Umstände abzustellen, aus denen eine Verzeihung abgeleitet werden kann.